Das konzeptuelle Territorium von Anxiety of Influence: Bachelors, Brides and a Family Romance basiert auf Harold Blooms wegweisenden Schriften «The Anxiety of Influence. A Theory of Poetry» (1973)und «A Map of Misreading» (1975). Bloom definiert die Lyrik als «Einflussangst, […] ein Vergehen, […] eine disziplinierte Pervertierung. Lyrik ist Missverständnis, Fehlinterpretation, Missheirat. Lyrik (Romantik) ist ein Familienroman.» Einfluss bedeutet nach Blooms Ausführungen «dass es keine Texte gibt, sondern nur Beziehungen zwischen Texten. Diese Beziehungen hängen von einem kritischen Akt ab, einer Fehldeutung oder einem Vergehen, das ein Dichter an einem anderen verübt und das sich in keiner Weise von jenen notwendigen kritischen Akten unterscheidet, die jeder starke Leser auf jeden Text, dem er begegnet, anwendet». Folglich hilft die Geschichte der Fehldeutung den Dichtern, einen eigenen Imaginationsraum für sich frei zu räumen. Sich Blooms Theorie des Einflusses im Gebiet der Lyrik aneignend, beabsichtigt die Ausstellung die grundsätzliche Frage nach dem künstlerischen kreativen Prozess in Verbindung Begriffen wie Einfluss, Inspiration und Verführung zu analysieren. Sie zielt darauf ab, die Struktur künstlerischer Individualität unter den Rahmenbedingungen ihrer Abhängigkeit von äußeren Kräften und der historischen Matrix ausfindig zu machen.
ANDREA SCHNEEMEIERS Videoinstallation, die eine Frau in einem Brautkleid zeigt, die auf einem Bahnsteig der Budapester Untergrundbahn für einen Hochzeitskleiderladen wirbt, spielt halbbewusst auf unwiderstehliche Quellen der Inspiration an, die von Duchamps’ Rätseln «hinabsteigender Bräute» und «nackter Junggesellen» zu Georges Battailles «innerer Erfahrung» reichen. Immer gesellschaftlich und politisch engagiert und Gender – Stereotypen und Publikumserwartungen hinterfragend, zeigt die Künstlerin ein provokantes visuelles Dokument, in dem die Begriffe Entfremdung und Gemeinschaft Thema des tiefschürfenden Aktes ihrer Selbstreflexion sind.
Das gemeinsame Projekt von DENISA LEHOCKA und BORIS ONDREICKA erforscht in seiner höchst persönlichen und intimen Struktur, die sowohl auf dem verführerischen Reiz eines Augenblicks als auch dem Versprechen von Kontinuität aufgebaut ist, die Schnittpunkte von Erinnerung und Geschichte. Ephemere Aspekte der Wirklichkeit, Vergänglichkeit der Erfahrung und Zerbrechlichkeit der Wahrnehmung an der Grenze zum Verschwinden sind in ihrem räumlichen Gedicht, das an die Sprachexperimente der Sechziger und Siebziger anklingen lässt, ineinander verwoben.
Eben dieses Erbe der Abstrakten Kunst und des Minimalismus – aus einem formalen und konzeptuellen Blickwinkel – ist für BARBORA KLIMOVAS kontemplative reliefartige Strukturen, die mit dem vorhandenen Raum der Stadtgalerie interagieren, von entscheidender Bedeutung. Es ist eine mathematisch ausbalancierte Umgebung, in der sich ein hyperfruchtbares Feld von Querverweisen (von funktionalistischer Architektur über die Tradition der Bildhaftigkeit bis zu den Theorein von Milos Vojtechovsky) mit einem sehr subjektiven und einzigartigen eigenen Zugang der Künstlerin zu einem Rahmen und zu räumlichen Einschränkungen überschneidet.
Architektur (aber auch Stadtplanung und Design in Verbindung mit soziologischen Studien und Philosophie) bilden den Rahmen für DOMINIK LEJMANS Untersuchung der Wechselverhältnisse zwischen der Masse (als sowohl menschenbezogene Einheit als auch Mengeneinheit) und einer Vielzahl körperlicher und mentaler Unterdrückungssysteme (Überwachung, auferlegte Vorschriften, etc.). Eine modernistische Sprache aus der Sicht des Künstlers und nach der Vorlage eines Designers dominiert den Rahmen und strukturiert aufs neue Themen der überwältigenden Unermesslichkeit, dem Missbrauch von Kontrolle und der Anonymität der Zuschauer.
KRIS VLEESCHOUWERS Strategie ist der von Lejman ähnlich: der Betrachter wird durch eine Reihe von vom Künstler ausgeklügelten Tools und Geräte manipuliert. Diejenigen, die bereit sind zu interagieren, unterziehen sich Experimenten hinsichtlich ihrer Sinne und Körperlichkeit. In dieser Untersuchung sowohl der Betrachtergewohnheiten als auch dem Auftreten des Zufalls werden Wissenschaft und Technologie auf kluge Weise mit Psychologie und Naturphänomenen gepaart. Was liegt unseren Handlungen zugrunde? Was sind deren Konsequenzen? Wie weit geht der (unbewusste) Einfluss? Dies sind die grundlegenden Fragen dieser höchst poetischen und fragilen Arbeit, in der die Vorhersehbarkeit und Zufälligkeit getestet werden.
Die Foto- und Videoarbeit von TIM LEE, hier angewendet auf das Werk und die Schriften von Robert Smithson und von Lee dargeboten als ein buchstäblicher (wenn auch komplexer) Akt der Fehldeutung, indem er den Künstler verkörpert und dessen Schriften verkehrt rum liest, befasst sich explizit mit Harold Blooms Begriff der ‚Fehldeutung’. Dieses karnevalesque Merkmal auf den Kopf gestellter Realitäten und Vorbilder als ein verzerrter Spiegel des Selbst tritt auch in einer anderen Arbeit von Lee, seiner Videoinstallation The Move, the Beastie Boys, zum Vorschein. Eine humorvolle und ironische Übersetzung eines Popstandards, ein weiterer Versuch, Einfluss als Maskerade zu definieren.
Das menschliche Verhalten zwischen Vermittlung und unkontrollierter Spontaneität sind für KATARZYNA KOZYRA und ihre Videoinstallationen, in denen der Körper und sein kultureller Stoff den elementarsten Aspekt einer Grammatik der Identität ausmachen, ausschlaggebend. Tanz und Theater (und alle Nuancen anderer Genres der darstellenden Künste) sind für dieses Werk die inspirierendsten Forschungsgebiete, eines Werks, das sowohl in einen intertextuellen kunsthistorischen Wald der Zeichen und Formen eingetaucht ist, aber auch in gleichem Masse in den intersubjektiven Mikrokosmos der Privatmythologie der Künstlerin verhaftet ist.