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Cantonale Berne Jura 2022
Celine Aernoudt & Emile Van Helleputte, Nadine K. Cenoz, Raffaella Chiara, Jean-Marie Egger, Simon Fahrni, Tobias Hauswirth, Pia Heim, Daniel Kurth, Sapir Kesem Leary, Selina Lutz, Lea Luzifer, Hans-Jörg Moning, Guadalupe Ruiz & Janosch Perler, Marius Steiger, Sandra Steiner-Strütt, Christoph Studer, Jan van Oordt, Darko Vulic, Luan Weber, Hannes Zulauf
23.12.2022–28.01.2023

LEA LUZIFERs (*1996, lebt und arbeitet in Bern) Werk beruht auf dem Prozess des Sammelns. Gefundenes erscheint vor heterogenem Hinter­grund in veränderten Arrangements und unerwar­teten Kombinationen, wodurch sie neue poetische Gefüge und Zeichensysteme schafft. Dabei bewegt sich ihre Arbeitsweise stets zwischen Kontrolle und Zufall. Die durch Auftrennen einer Digitalfo­tografie erzeugte Werkserie Kettenbrechen (2021) bedient sich der Ästhetik unerlaubter Schnapp­schüsse und wirft so Fragen nach privatem und öf­fentlichem Raum sowie der Komplizenschaft der Betrachter:innen auf.

Die künstlerische Praxis von SANDRA STEI­NER-STRÜTT (*1967, lebt und arbeitet in Cour­rendlin) umfasst Malerei, Soundinstallationen, Vi­deo, Poesie und Performance. Die Künstlerin arbeitet oft mit Aneignung von Fremdmaterial, das sie, integriert in multimedialen Installationen und Inszenierungen, in politische und gesellschaftliche Kontexte stellt. Die Malerei Pelzchen 3 (2022) ba­siert auf einem Portrait der Gräfin Jekaterina Was­siljewna Wjasemskaja, geb. Wassilchikowa (1773-1816), das um 1800 von einer:m unbekannten Künstler:in gemalt wurde. Die Adaption ist für die Künstlerin eine Möglichkeit, mit den Mitteln der Malerei in Beziehung und Dialog mit Vergangenem zu treten, um so Gegenwärtiges zu erörtern.

DANIEL KURTHs (*1985, lebt und arbeitet in Basel) Umgang mit den Letters steht exemplarisch für seine Praxis, die Kontextverschiebungen und Rekonfiguration produktiv macht, um bestehenden Werken erweiterte Bedeutungen abzugewinnen. Die Letters sind handgefertigte Buchstaben, basie­rend auf der Schriftart der US-amerikanischen Strassenbeschriftung, die wiederum gefundenen Fotografien eines Roadtrips entspringen. In sei­nem Werk können sie unterschiedliche Anordnun­gen und Erscheinungen annehmen, die über ihre Funktion als Zeichen immer auch als Objekte be­fragt werden können: In der Stadtgalerie zeigt er drei Gruppen von übereinander gelegten Lettern. Es handelt sich um drei unterschiedliche Permuta­tionen derselben Schriftzeichen: BALANCE, BAANCEL, AABNLEC.

SIMON FAHRNIs (*1987, lebt und arbeitet in Bern) Malerei wirkt auf den ersten Blick unaufge­regt, wie beinahe zufällige, organische oder durch Witterung entstandene Oberflächen. Dennoch sind sie durchdrungen von mäandrierenden, künst­lerischen Entscheidungen, durch die sie eine Tiefe gewinnen, die sich bei längerer Betrachtung auftut: « Die Bilder sind quasi Nebenprodukte von alltägli­cher Ablenkung, von streifenden banalen Gedan­ken am Rande des gewohnten Fokus. Ständig zau­dernd, stockend, richte ich meinen Blick auf die Ränder und die Ritzen, wo ich womöglich ein kurzzeitiges provozierendes Aufblitzen von Sinn und Bedeutung erkennen kann.»

Das Objet-livre stratographie (2019–) von DARKO VULIC (*1960, lebt und arbeitet Boncourt) ist ein Tagebuch aus Bettlaken. Das Buch ist für den Künstler ein Ort der malerischen Aufzeichnung spontaner Gedanken. Wie Sedimentschichten fü­gen sich die Blätter mit seinen Aufzeichnungen zu einem hügelartigen Buchobjekt zusammen: Seine persönliche Zeit und die überpersönlichen Zeichen denen er sich bedient, schreiben sich Schicht für Schicht ein. 2016 war der Künstler gezwungen, lange Zeit im Bett zu verbringen: «Nach und nach begannen die Bettlaken, in die ich eingewickelt war, in meine Gedanken und Träume einzudrin­gen.»

Für ihre Arbeit Heim / Werro (2021) eignet sich PIA HEIM die Tütschis des Berner Künstlers Ro­land Werro (1926–2018) an. Die Tütschis sind bemalte Holzquader, die Werro ab 1986 als Wand­objekte fertigte. Pia Heim realisierte mit den Qua­dern 2021 temporäre Anordnungen im öffentli­chen Raum der Stadt Bern, die Fragen nach Autor:innenschaft und dem Umgang mit Nachläs­sen aufwerfen und an Wertkriterien rütteln. In der Stadtgalerie zeigt sie eine Neuanordnung der Qua­der und die Dokumentation ihrer temporär reali­sierten «Versammlungsorte».

JAN VAN OORDTs (*1980, lebt und arbeitet in Saint-Imier) Praxis entfaltet sich im Eingebettet­sein in spezifische Strukturen und geteilte Lebens­räume. Sie situiert sich innerhalb von Beziehungen und Interdependenzen als Dialog, Einbettung oder Erweiterung. Seit 2018 betreibt er die Künst­ler:innen-Residenz La Dépendance in Saint-Imier, die für den Künstler zum spezifischen Ort der Re­flexion und künstlerischen (Ko-)Produktion wur­de. Die Malereien Umwelt (2022) und Days (2022) thematisieren durch den Abdruck des Keil­rahmens ihre eigene materielle Bedingung und ver­weisen dadurch auf die Konstruktion von Land­schaft.

Die Serie Fragmente (2022) von CHRISTOPH STUDER zeigt Männerkörper in unterschiedli­chen Posen mit Hundeköpfen, die an die Masken der Pupplay Community erinnern. Die teils frag­mentierten Körper werden zum Ausdruck unter­schiedlicher mentaler Zustände wie Angst, Kont­rollverlust, Dissoziation oder Zwang. Lebe dein bestes Leben. Bleib positiv. Alles, was du brauchst, ist Liebe. Motivationssprüche haben einen seltsamen Imperativ. Wer spricht hier zu wem? In ihnen vermählt sich die Selbstverwirkli­chung der Hippies mit der Selbstverantwortung der Neoliberalen. Die Holzschnitt-Plakate von CE­LINE AERNOUDT (*1995, lebt und arbeitet in Brüssel) & EMILE VAN HELLEPUTTE (*1992, lebt und arbeitet in Brüssel) ergänzen diese Impe­rative der Selbstoptimierung zu Sätzen der politi­schen Agitation. Mit ihrem Modell der Stadtgale­rie im Massstab 1:10, das eine überlegene Perspektive suggeriert, wirft ihre Arbeit Fragen zu Machtverhältnissen und politischer Selbstbestim­mung auf.

HANS-JÖRG MONING (*1950, lebt und arbeitet in Courtelary) BigBang Homemade 4 (2021) ist das vierte Bild aus der gleichnamigen Serie. Die Serie zeigt Pilzwolken, die den Dokumentationen unter­schiedlicher Kernwaffentests entstammen. Ein Netz von Punkten legt sich wie ein Koordinaten­system über die Bilder und konfrontiert die wis­senschaftliche Rationalität mit dem atomaren Hor­ror.

RAFFAELLA CHIARA (*1966, lebt und arbeitet in Bern und Thun) arbeitet mit Zeichnung und Drucktechnik. In ihren vordergründig abstrakten Serien konfrontiert sie Themen der Malerei mit bildgebenden Verfahren der Wissenschaft und an­deren visuellen Repräsentationen abstrakter Ge­samtzusammenhänge. Ihre Bilder wirken wie Be­nutzeroberflächen an der Schnittstelle von Visuali­tät und Taktilität. Spezialisierten Bildverfahren gewinnt die Künstlerin eine ästhetische Präsenz ab und lässt unterschiedliche, von sich getrennte Dis­ziplinen in einen Dialog treten.

LUAN WEBERs (*2001, lebt und arbeitet in Thun) Zeichnungen entstehen als Betrachtung der wachen Welt, «wie durch den Schleier des Traums hindurch». Ausgehend von Details, beobachtet in alltäglichen Begegnungen, schafft Luan Weber ent­rückte Portraits. Die Figuren von Luan Weber sind keine isolierten Entitäten. Im Traum oder Rausch zersetzt sich das, was wir als Einheiten wahrneh­men in Einzelteile, Musterungen und Fraktalen, um neue Formen anzunehmen. Die androgyne Fi­gur im Bild Kontakt (2022) mit ihrem auf die Be­trachtenden gerichteten Blick hat eine deutliche Präsenz und dennoch ist ihr eine liquide, temporä­re Qualität inne.

SAPIR KESEM LEARYs (*1988, lebt und arbei­tet in Bern) Malereien zeigen persönliche, alltägli­che Situationen. Musterungen, Spiralen und ge­kippte Fluchten entfalten eine Sogwirkung: Der Raum wird zur erweiterten Architektur zwischen­menschlicher Beziehungen, Exzess, Einsamkeit oder Trauma. «Ich ziehe es vor, meine eigenen Er­fahrungen zu malen.» Das Überführen der Erinne­rung ins gemalte Bild ist für die Künstlerin immer auch der Versuch vom Persönlichen zu sozialen, allgemeinen Themen zu gelangen.

Blei ist ein wiederkehrendes Material in der Praxis von SELINA LUTZ (*1979, lebt und arbeitet in Bern), die Malerei, Skulptur und Installation um­fasst. Wer war noch nie in einem alten, leerstehen­den Einfamilienhaus der 1950er bis 1980er Jahre? Es sind Orte der Anti-Nostalgie. Träume, Ideolo­gien und Lebensmodelle von Generationen sind darin konfrontiert mit einer viel zu realen Schicht aus Staub und Verwitterung. Vielleicht wurden Materialien verbaut, die als innovativ galten, die potenziell unsere Körper versehren. Die Arbeit Merry Widow Fizz (2022) von Selina Lutz kon­frontiert Nostalgie mit einem materiellen Nach­druck, nicht zuletzt durch ihre Verwendung des giftigen Schwermetalls Blei.

HANNES ZULAUFs Bilder Ohne Titel (Sugar Coa­ting) (2022) entstammen einer Serie pinker Land­schaftsmalereien. Man könnte sie als eine Art der subjektiven Bewältigung von Malereigeschichte Verstehen: Der Künstler arbeitet sich, reduziert auf drei Farben, an Topoi der Landschaftsmalerei ab. Wie in einer pinken Ausnüchterungszelle oder der die 1950er und seine Rollenbilder beschwö­rende Zuckerguss auf Cupcakes, kippt die liebliche Farbe in Hannes Zulaufs Bilder manchmal ins la­tent Bedrohliche. In Auseinandersetzung mit der Geschichte der Malerei ist diese Serie u.a. als eine Beschäftigung mit nationalistischer Vereinnah­mung von Landschaftsmalerei zu verstehen.

GUADALUPE RUIZ (*1978, lebt und arbeitet in Biel) & JANOSCH PERLER (*1991, lebt und ar­beitet in Biel) durchschreiten in ihrem Video La Pastora de las Cosas (2022) den Arbeitsort und per­sönlichen Lebensraum von Guadalupe Ruiz, ihrem Sohn, ihrem Partner und ihrer Katze. Die Kamera folgt dem Sonnenstand durch die Räume des Hau­ses, so dass jeweils ähnliche Lichtverhältnisse vor­handen sind. Dadurch schaffen sie Voraussetzun­gen wie in einem Fotostudio, wo über die Produktion von Bildern die grösste Kontrolle erreicht werden kann. Gegenstände und Bewohner:innen werden zu Akteuren eines fotografischen Blicks, der sich gleichzeitig am Tagesablauf und an der übergeord­neten Zeitlichkeit der Sonne orientiert. Das Video verbindet in poetischer Weise Bild- und (Lebens-) Raum, gerichteter Blick und Alltag.

TOBIAS HAUSWIRTH (*1998, lebt und arbeitet in Biel) interessiert sich in seiner Malerei für zei­chenhafte Flächen. In Mauer 1 & 2 (2022) schich­tet er Stein für Stein in unterschiedlichem Grau zu einer Mauer, die sich exakt über das Format der Leinwand erstreckt und nur am oberen Bildrand ei­nen Blick dahinter suggeriert. Die darstellende Ma­lerei kann sich manchmal anfühlen wie eine Wand aus Farbe, indem sie durch das Abbilden die mate­rielle Dimension eines Bildes negiert. So lautete zumindest eine gängige Kritik abstrakter Maler:in­nen. Vielleicht ist Mauer 1 & 2 ein humorvoller Kommentar einer Malerei, die Abstraktion und Fi­guration miteinander vereint.

JEAN-MARIE EGGER (*1953, lebt und arbeitet in La Chaux-de-Fonds) arbeitet oft mit vorgefertig­ten und gefundenen Materialien. Mit reduzierten Mitteln und Eingriffen schafft der Künstler ein re­ferenzreiches Werk, oft in Abgrenzung und Ausei­nandersetzung mit der Kunst des 20. Jahrhunderts.

Der spanische Titel von NADINE K. CENOZ (*1989, lebt in Bern und Buenos Aires) Serie Ra­jadas (2022) kann mit «ritzen», «(auf)schneiden» oder «aufspalten» übersetzt werden. In argentini­schem Spanisch bedeutet er umgangssprachlich so viel wie «sich aus dem Staub machen». In Anleh­nung an Deleuze und Guattaris Konzept der Flucht, kann für Nadine K.Cenoz das Fliehen als ein revolutionärer Akt verstanden werden, in dem das markiert wird, vor dem man flieht. In dem Sinn ist Rajar für die Künstlerin «ein konzeptuelles Werkzeug um im Hegemonischen, im Gelernten, im Wiederholten, in binären Imperativen Spuren, respektive Fluchtlinien zu hinterlassen.» Die in Plexiglas gekratzten Körper ergründen das Ver­hältnis zwischen Körper und Umgebung, indem der Raum, den die Figuren umgibt, von Unbe­stimmtheit geprägt wird.

Auf der Grundlage der jahrhundertealten Traditi­on der Stilllebenmalerei schafft MARIUS STEI­GER (*1999, lebt und arbeitet in London) Arbei­ten, die Fragen zu Authentizität und Artifizialität sowie zu der zunehmend angespannten Beziehung des Menschen zur natürlichen Welt aufwerfen. Steiger beginnt seinen Prozess mit 3D-Modellen, die er anschliessend in Malereien und Skulpturen überträgt. In ihrer polierten, synthetischen Wie­dergabe organischer Materie wirken die Gemälde, die wie digitale Subversionen der Vanitas-Malerei­en daherkommen, gleichermassen verführerisch wie beunruhigend. Einfach, aber mit viel Liebe zum Detail wird die Natur auf 3D-Darstellungen von Pflanzen und Blumen reduziert, die uns bei ei­nem Spaziergang im Wald begegnen könnten.

Auswahl durch Gianmaria Andreetta, Luca Beeler und Seraphin Reich.

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