In der Arbeit sieben Wunden (2023) projiziert SIMONA SCHNYDER Ausschnitte einer katholischen Prozession auf eine weisse Fahne. Rituale einer Gemeinde. Das statische Wappen ersetzt Schnyder mit Amateurvideoaufnahmen. Sie zeigen die gemeinschaftliche Performanz dieser Prozession: Nicht nur himmlische, auch weltliche Hierarchien werden vorgeführt. Das Militär schreitet mit. Dieses Spektakel dörflicher Identitätsbildung konfrontiert Schnyder mit Berichten queerer Lebensrealitäten.
Die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen wascht sich demonstrativ die Hände. Dazu summt sie die Melodie der Europahymne. Sie streckt ihre sauberen Hände hoch und blickt entschlossen in die Kamera – etwas zu lange. TEO PETRUZZI hat diesen Teil für die Arbeit Clean (2022) in die Länge gezogen. Ansonsten bleibt das Video, das auf den Kanälen der Europäischen Kommission während der Coronapandemie veröffentlicht wurde, in Petruzzis Arbeit unverändert. In Bezugnahme auf Paul B. Preciado bringt Petruzzi die Politik der europäischen Union während der Pandemie in den Kontext der Aussen- und Migrationspolitik der europäischen Gemeinschaft. Nicht bloss die nachvertonte und leicht verschobene Tonspur verleiht dem Video ein Unbehagen.
ALIZÉ ROSE-MAY MONODS Arbeiten sind wie materialgewordene Sätze. Sie sprechen im Vokabular queerer Erfahrungen, Körperlichkeit, Codes, Kultur und Geschichte. Manchmal in intimer Zuneigung, mit Humor und ein andermal mit nachdrücklicher Bestimmtheit. Die Kombination unterschiedlich codierter Materialien suggeriert eine binäre Spannung, die in den Objekten gleichzeitig dekonstruiert wird.
1977 schoss die NASA an Bord von zwei Raumsonden Datenplatten mit Bild- und Audio-Informationen ins All, als Botschaft für eine etwaige intelligente, ausserirdische Lebensform. Das Material Gold der Platten wurde der Langlebigkeit halber gewählt. REMO STOLLER nutzt für seine Serie Aeternum / Nostalgisches Material (2023) kupferbeschichtete Platten, die in der Produktion elektronischer Leiterplatten verwendet werden. Ein anfälliges Material, das stark korrodiert und sich verändert. Dennoch wirken die Arbeiten wie Zeitkapseln. Was soll konserviert, was erinnert werden? Stollers Bildwelten stammen oft von Medien und Spielzeugen einer vergangenen Kindheit und markieren den Moment an dem das Kind als Konsument*in entdeckt wurde.
MIMMO HARADITIOHADI bringt in seiner Malerei Figuration, Zeichenhaftigkeit und malerische Fläche in eine unbestimmte Gleichzeitigkeit. L’Hinterland (2023) ist ein Diptychon, mit zweimal dem identischen Sujet: Eine Reihe von Pappeln, die sich im Wind beugen und bei genauerem Hinschauen seine Initialen MH bilden. Es ist ein Drama zwischen Alltäglichkeit und schicksalhafter Toteninsel; Ein sardonischer Witz über die Erwartungen an eine Malerbiografie?
Die Arbeiten von LAURA GRUBENMANN gewähren einen intimen Einblick in das Leben der Subjekte ihrer künstlerischen Praxis, so auch in der Arbeit Plüsch (2021). Mit Ölpastel auf Papier nimmt uns die Künstlerin mit in die Tiefen der Privatsphäre ihrer Figur: Eine Person, die langen roten Haare zu einem Zopf zusammengebunden, steht im Zentrum der Arbeit, hält ihren Kopf und etwas undefiniertes in den Händen. Ein Plüschtier, wie der Titel vermuten lässt oder doch etwas anderes? Der Blick der Person schräg nach unten gerichtet, die Fingernägel lang und schwarz lackiert, rote Flecken an Ellbogen und Oberschenkel.
Das Monster steht in der europäischen Kulturgeschichte oft für die Verkörperung von Differenz. Es markiert Norm und Abweichung und ist verbunden mit dem «Anderen» – der Produktion und Verwaltung von Differenz. SANDRINE MBALA dokumentiert mit ihren Zeichnungen ihr Umfeld, portraitiert Familie und Bekannte in einer positiven Aneignung und Umdeutung des Grotesken.
Zum Schutz und um im Sommer Hitze zu reduzieren, werden in New York Dächer monochrom mit Silber übermalt. Infrastrukturelle Elemente wie Kästen, Gitter und Hydranten werden Jahrzehnte lang einfach überlackiert. CYRIL TYRONE HÜBSCHER interessiert sich für die materielle Bedeutung und Poesie dieser Technik: Mit der monochromen Übermalung wird erneuert, während gleichzeitig vergangene Bearbeitungsebenen als Relief sichtbar bleiben. Die Zeitlichkeit bleibt als Sediment erhalten, und trotzdem erfolgt ein Schritt nach vorne, eine Neuausrichtung mit Bezug auf Vergangenes. Hübscher überträgt dies und übermalt alte Arbeiten von ihm neu.
Die Arbeit von SEREINA STEINEMANN ist eine ortspezifische Intervention innerhalb der Institution. Die zwei nebeneinander hängenden Malereien Die Liste und Der Plan (2023) sind spezifisch auf die Stadtgalerie Bern sowie die Cantonale Bern Jura 2023 abgestimmt. Während Die Liste ohne Hierarchie oder vermeintlich erkennbarer Ordnung alle beteiligten Künstler*innen mit Vor- und Nachnamen auflistet, abstrahiert sie in Der Plan das Display als solches. Skizzenhaft, aber massstabsgetreu nimmt sich Sereina Steinmann den einzelnen Arbeiten der Ausstellung an.
Im Kurzfilm Les Pigeons du square (1982) sitzt der französische Dokumentarfilmer Jean Painlevé mit Kindern in einem Park in Paris und spricht über Tauben. Gemeinsam versuchen sie den Gang der Taube zu imitieren und sich in ihre Körper zu versetzen. Taube und Mensch. Ein Tier das überfrachtet ist mit extremen Zuschreibungen, von Dreckig bis Heilig. In der Ikonographie der Malerei von MAXI EHRENZELLER koexistieren die beiden Extreme zur selben Zeit.
NICOLAS GRAND arbeitet mit unterschiedlichen Bildträgern, erzeugt ruhige und introspektive Komposition. Die Arbeit Wrasen (2023) ist eine Bleistiftzeichnung auf Papier, ein Setting für eine graue Herbstlandschaft. Im Zentrum steht eine kleine Menschengruppe gedrängt zusammen, im Hintergrund ein immer wieder sich andeutender doch verschwimmender Wohnkomplex. Innerhalb dieses amorphen Wechselspiels zeichnen sich immer wieder comicartige Tiere ab, verschwinden doch wieder in dem grauen Schleier des Nebels, der Zeichnung von Nicolas Grand.
Geisterhaft schleicht die Kamera durch die Unterführung der Sihlpassage des Hauptbahnhofes Zürich. Eine Architektur, die durch sich wiederholende Elemente strukturiert und rhythmisiert wird, die kaum Anfang und Ende kennt. Wie bewegen sich Menschen an diesen gerichteten, öffentlichen Orten? Wie verlaufen die Blicke? In RAFFAELA BOSS Video moving places or about the scaled subject (2023) wird dieser Raum zur Bühne einer Choreographie. Menschliche Geräusche – Gesang, das Schmatzen von Küssenden – vermengen sich mit den Geräuschen von Maschinen, Rolltreppen und einfahrenden Zügen.
Die Cantonale Berne Jura ist ein Zusammenschluss von elf Ausstellungsinstitutionen, die in einer gemeinsamen Jahresausstellung das Kunstschaffen der Kantone Bern und Jura präsentieren. Die kantonsübergreifende Ausstellung findet seit 2011 jährlich statt und wird seit 2012 vom Verein Cantonale organisiert und getragen.