Die Stadtgalerie beschäftigt sich zum Jahresende in der Ausstellung me, myself and I mit dem Ich. Ein Gegenüber wird gesucht und Spuren des Daseins sind in den Zwischenräumen zwischen mir und dir zu finden. Mögliche Lebensentwürfe werden ebenso angedacht wie man die Wesensentwicklung bis zur philosophischen Krise durchlebt. Bestehende und vorgefertigte Vorstellungen des Selbst treffen auf Fremdwahrnehmung und die Suche nach dem Eigenen schwankt zwischen privat und öffentlich. Dabei sind wir mit Grenzen der Intimität konfrontiert, welche die Nähe und Distanz sowie das Ich und Du neu verhandeln.
Entdeckungsfreude und die Lust an der Auseinandersetzung mit der eigenen Malpraxis bringen GRÉGORY SUGNAUX (*1989 in Fribourg, lebt und arbeitet in Fribourg) immer wieder zu neuen Ansätzen und Themen in seinem Schaffen. In der Gemälde-Serie Things that happen downstairs spielt Sugnaux mit der Veränderung des Betrachtungswinkels: Alltagssituationen wie Kreidezeichnungen auf Asphalt bedingen den Blick zu Boden. In grosszügiger malerischer Geste bringt der Künstler solche Szenen auf die Leinwand und somit auf Augenhöhe in den Raum.
ALAIN JENZER (*1974 in Vancouver, lebt und arbeitet in Bern) bedient sich für seine Installationen und Performances oft bei Gegenständen aus dem häuslichen Umfeld – wie Geschirr, Esswaren, Blumenkisten, Textilien oder Möbel. Beim zweckentfremdeten Einsatz der verwendeten Materialien interessieren ihn dem Häuslichen zugeordnete Tätigkeiten, soziale Prozesse, gesellschaftliche Zuschreibungen, vorherrschende Geschlechterrollen aber auch tatsächliche oder vermeintliche Absurditäten. Modell No. 1.2 besteht aus einem Stapel gebrauchter, gewaschener, gefalteter und farblich geordneter Mikrofasertücher und einem Sockel. Es erzählt von des Künstlers Beschäftigung mit dem Ausbalancieren von Spannung und Bewegung, Reibung und Harmonie. Jenzer verwendet dabei die Repetition als gestalterisches Element.
Der hier präsentierte Ausschnitt aus der fortlaufenden Zeichnungs-Serie Quittungen zeigt Darstellungen aus dem Bilderfundus von KAROLINE SCHREIBER (*1969 in Bern, lebt und arbeitet in Zürich). Sie bedient sich dafür sowohl bei den eigenen Zeichnungen als auch beim kunstgeschichtlichen Kanon wie beispielsweise Guernica von Pablo Picasso. Gezeichnet sind die Kleinformate auf Quittungen persönlicher Ausgaben, die keinen Eingang in Schreibers Steuererklärung finden. Der zehnfache Betrag des jeweiligen Einkaufspreises ergibt den Verkaufspreis der Zeichnung.
the distance between ist eine Serie von fünf Listen. Sie alle führen verschiedene Sätze auf, die stets mit «the distance between» beginnen und sich danach auf ein Objekt, Subjekt oder eine konzeptuelle Beziehung beziehen. JOHANNA KOTLARIS‘ (*1988 in Schaffhausen, lebt und arbeitet in Zürich) Arbeit interessiert sich für Begriffe wie Entfernung und Umgebung und wie sich Objekt- und Subjektbeziehungen im Fokus der Nähe verändern. Selbstverständliches wird durch die genaue Betrachtung intimer, während Fremdes näher rückt und Eigenes immer fremder wird.
Die Fotoserie Human Nature zeigt architektonische Eingriffe, welche im öffentlichen Raum als Barrieren dienen. Nicht genutzte Flächen von Gebäudehüllen wurden «dekoriert», um Randständige davon abzuhalten, diese als Schlafplatz zu nutzen. LIVIO BAUMGARTNER (*1982 in Jegenstorf, lebt und arbeitet in Zürich) hat diese Elemente bei Streifzügen durch Paris mit seinem Handy festgehalten. Diese rasch entstandenen Bilder sind als grossformatige Drucke im Ausstellungsraum präsent. Die vielfältige Ausgestaltung dieser Barrieren wird in Zusammenhang mit dem unterschiedlich grossen weissen Leerraum, der die Fotografien innerhalb der Rahmen umgibt, zu einem eigenen Muster.
Die Serie Selbstportrait als Künstlerpaar von HAUS AM GERN [Barbara Meyer Cesta (*1959 in Aarau) / Rudolf Steiner (*1964 in Niederbipp), leben und arbeiten in Biel und Rondchâtel] setzt sich seit 1998 in unterschiedlichen Medien mit dem Selbstbildnis als eines der grossen Themen der Bildenden Kunst auseinander. Gleichzeitig kommentiert die Serie auch die eigene Beschäftigung mit sich als Künstlerpaar. Die Bronzeplastik SELBSTPORTRAIT ALS KÜNSTLERPAAR XXVI (Haufen) ist der Abguss eines kleinen Dreckhaufens. Dabei beziehen sich die Künstler auf die Paradoxie des Haufens, auch Sorites-Paradoxie genannt, die bei vagen Begriffen auftritt. Beispielswiese dann, wenn versucht wird, etwas als Haufen zu bestimmen: Es lässt sich keine konkrete, nicht willkürlich beschlossene Anzahl von Elementen angeben, aus denen ein Haufen mindestens bestehen müsste.
Ganz in der Tradition des Stilllebens sind die Birnen von INGA STEFFENS (*1984 in Lübeck, lebt und arbeitet in Bern) bezüglich Farbe, Textur sowie Licht- und Schattenspiel auf die Leinwand gebracht. Mit ihren üppigen Formen und in ihrer einander zugewandten, um 180° gedrehten Position erinnern die Früchte an zwei sich gegenüberliegende Körper in trauter Zweisamkeit.
First Cut von KNÜSEL / TÖNDURY [Thomas Knüsel (*1984 in Zürich, lebt und arbeitet in Zürich) / Gian-Andri Töndury (*1975 in Bern, lebt und arbeitet in Bern und Zürich)] ist ein 3D-Animations- und Found-Footage-Film, der die Evolution einer undefinierten Kreatur erzählt. Die Bild- und Audiocollage zitiert und untergräbt dabei das Genre des Wissensfilmes. Von einem reinen Verdauungswesen, das seine Umgebung nur durch Verlangen und Abneigung oder Lust und Unlust definiert, entwickelt es sich zu einem Wesen, das seine Umwelt zu modellieren und repräsentieren beginnt, bis es in eine philosophische Krise gerät. Der Film ist der erste Teil einer im Entstehen begriffenen, vierteiligen Serie, die verschiedenste Vorstellungen, Gemeinplätze und Theorien zur Evolution der Menschheit versammelt.
Der menschliche Körper dient RENÉE MAGAÑA (*1970 in Santa Monica, lebt und arbeitet in Bern und Potrero) in ihrem Schaffen immer wieder als Untersuchungsgegenstand. Seinen Strukturen und seinem Zerfall geht sie in ihren Bildern nach. Alte Schultafeln aus dem Biologieunterricht hat sie in anatomy (the skin) und anatomy (the glandular system) mit subtilen malerischen Eingriffen um ihre eigenen Interpretationen ergänzt. Dadurch entstehen Irritationen und neue Leseweisen unserer Anatomie: Der Querschnitt der Haut wird so zum Nährboden für Bäume und Pilze, während die Blase zum Fischteich wird.
FABIO LUKS (*1982 in Biel, lebt und arbeitet in Basel) interessieren Veränderungen, die bei Wiederholungen passieren. Oft arbeitet er dabei mit Text, den er mal in raumfüllenden Buchstabenskulpturen, mal direkt an die Wände oder auf grossformatigen Leinwänden inszeniert. In vielen Arbeiten ist der Text gross und präsent und rhythmisiert raumgreifend die Ausstellungsräume. Die dreiteilige Poster-Serie Babarbub zeigt dreimal dieselbe Fotografie eines Jungen, der jeweils hinter einem anderen Satz hervorgrinst, und konfrontiert uns mit Fragen und Zuschreibungen an eine unbekannte Person. Hier wird Sprache direkt verwendet, sie springt uns unverhofft naiv entgegen und lässt uns zwischen Schadenfreude und Empathie mit dem Buben schwanken.
Die Film-Installation G.J. Lischka Talks. Oracle Movement von BLOND & GILLES [Simone Nyffeler (*1981 in Langenthal) / Daniel Suter (*1961 in Bern), leben und arbeiten in Bern und Zürich] ist die Weiterbeschäftigung mit Beziehungs- und Lebensthemen, an deren Anfang ein gezeichnetes Orakel in Form eines Kartensets von Simone Nyffeler stand. In Seances erforschen Blond & Gilles die Beziehung zwischen Mensch, Freizeit und Digitalisierung und therapieren Krankheiten des 21. Jahrhunderts wie Überreizung und Selbstoptimierungswahn. Dabei nutzt das Künstlerkollektiv das Orakel als magisches Medium, um mit dem Betrachter zu interagieren.
ELIA AUBRY (*1984 in Sevgein, lebt und arbeitet in Langenthal, Sevgein und Wien) beschreibt in seiner Arbeit Möglicher Lebensentwurf in einer Art methodischer Zusammenführung die Verbindung von Bewusstem und Unbewusstem. Humorvoll und absurd, aufbauend auf Recherchen rund um den Surrealismus, entstand diese skulpturale Collage aus Referenzen und Interpretationen. Auf dem langen Hals der Figur thronen 18 Bücher, die sich alle mit alternativen Lebenshaltungen beschäftigen. Aus jedem hat der Künstler einen Satz entnommen und daraus einen Text geformt, der neue Assoziations- und Wahrnehmungsräume eröffnen soll.
Während der Vernissage wird mit Exit Strategie der Schriftzug der Stadtgalerie an den vier möglichen Eingängen zur Stadtgalerie in den Boden gefräst. RONNY HARDLIZ (*1971 in Bern, lebt und arbeitet in Bern) hat dafür die Kunstschaffenden Miriam Sturzenegger, Niklaus Wenger und Bernhard Huwiler zur Mithilfe eingeladen. Der handwerkliche Vorgang ist der Bildhauerei nahe, der Eingriff an sich kann der Performance zugeordnet werden. Daraus resultiert eine bewegte Skulptur, die nach der Eröffnung wieder verschwinden wird. Das herausgeschnittene Logo wird wieder mit Asphalt aufgefüllt, nur die ausgefransten Ränder erinnern im Nachhinein noch an das Ereignis.