Selbstsüchtig und mit romantisch verklärtem Eifer wechselt der englische Patient in der Buchvorlage von Michael Ondaat je nach Bedarf die Kriegsfronten in Afrika, um die Frau seines besten Freundes zu gewinnen; gegen alle Moral und Ethik fordert er sein individuelles Recht auf Glück. Er endet äusserlich entstellt und innerlich zerrissen von Selbstzweifeln bei der Krankenpflegerin Hana irgendwo in Italien, die ihm am Sterbebett einen Ablass seiner Sünden gewährt, indem sie die Liebe zur Religion erklärt, die über Allem steht. Im Ausstellungskonzept figurieren nun die KünstlerInnen als englischer Patient, welcher in der kapitalisierten Kunstwelt die Relevanz der Kunst damit untergräbt, dass er die markthemmenden Attribute der Kunst für seine erbärmliche Existenz opfert und den Handel «Brot gegen Loyalität» annimmt. Das Ende wäre dann kitschig und in der Sache nicht ausdiskutiert; der Kunstgriff der Kuratoren wie Werber, die anstatt Argumente ein nettes Lächeln neben das Produkt stellen.
Das Gedicht geht durch unseren Körper und grüsst nicht mal, schrieb Björn Kuhligk. Das verdeutlicht wie stark ausserhalb sich Kunst von unseren Dimensionen der täglichen Arbeit bewegt und wie schwierig es ist, qualitative Kunstwerke zu schaffen, die mit der realen Welt in Berührung stehen. Das ruppige Gelände – die Arbeit von MARKUS FURRER – zwischen diesen Welten ist riesig und entsprechend weit weg stehen die KünstlerInnen von den Betrachtern, die irgendwo am Rande stehen oder darüber hinweg stolpern. Einen anderen Erosionsvorgang könnte man dem Sofa von MARION LINKE anheften, das mit seinen Patronenhülsen – neben der irritierenden, ästhetischen Verwandtschaft zu hawaiianischen Strandkörben – wie von selbst eine Bedeutungsschwere generiert, die gegen das Ende des letzten Jahrhunderts in der Kunstwelt eher verpönt war, auf die man dann aber dennoch mit der Bedeutungslosigkeit reagierte, um sich der eigenen Bezüglichkeit und Bedeutung zu entziehen; die vermeintliche Tür zu den Göttern des globalen Kunst-Paradieses aufstossend. Im 21. Jahrhundert führte dies dann dazu, dass das Profil der KünstlerInnen aus ethnographischer Sicht verschwand und keine Botschaft mehr gesellschaftlich situiert werden konnte, also geografisch immer befremdlich – siehe Werke DAVIX – sein musste. KünstlerInnen sind zwar nicht das kollektive Gewissen einer dekadenten Gesellschaft, sie werden aber dafür gezüchtet Kritik zu üben: allerdings – es ist wie im Beichtstuhl – das Ritual ist wichtig, nicht der Inhalt. Von diesem Paradox spricht der Künstler R. Smithson in einer Kritik der Documenta 5 1972 bereits zu Harald Szeemann: Eine Situation, in der Künstler zum Äquivalent von B.F. Skinners Ratten werden, die schwierige kleine Tricks aufführen, ist zu vermeiden… Es wäre besser, die Begrenzung öffentlich zu machen, als die Illusion von Freiheit aufrecht zu erhalten. ROGER KELLER macht keine Tricks; seine Arbeiten sind vielleicht Zeitzeugen und dokumentarisches Material unserer Epoche, meist aber hängen sie eigenschaftslos da, kombiniert mit Gegenständen, die auch nicht hier sein wollen. Wenn es keine Freiheit gibt, gibt es auch kein Lächeln. Aus kontextuellen Gründen findet in dieser Ausstellung auch das Saalblatt ein neues Gesicht. Theatralisch und leicht überhöht wird dort die Geschichte der Führung in der Ausstellung der englische Patient nacherzählt. Der fiktive Kurator führt einen fiktiven Besucher durch die Ausstellung. Zusammen erleben sie psychologische und traumatische Höhen und Tiefen, Fabulieren und Interpretieren, auf das der Leser – der wirkliche Besucher – sich anschliessend auf die Werke konzentrieren kann.
Text: Boris Billaud, 2015
MARION LINKE (*1952) konstruierte aus tausenden von Patronenhülsen der RUAG Möbelstücke und hat dafür u.a. auch den Öster- reichischen Friedenspreis für Kunst erhalten. Diese Objekte wirken oberflächlich wie Designerstücke aus edlen Handwerkerbetrieben. Erst auf den zweiten Blick erkennt man eine subversive Absicht in der Verarbeitung. Die handwerklich präzise Verwendung der Materialien verweist auf die technischen und bildhauerischen Fähigkeiten der Künstlerin. Mit ihrer Direktheit zwischen Objekt und Bezug ignoriert Linke ungerührt den analytischen Kunst-Diskurs, da dieser – wie Luhmann es formulieren würde – nicht systemrelevant, sondern nur der Auswuchs einer Handlungs- neurose des akademischen Personals ist.
ROGER KELLERs (*1968) kontrastreich getönten Aufnahmen von Landschaften und urbanen Nebenschauplätzen verweisen auf eine aussergewöhnliche Form der Zeiterfahrung. Die Kompositionen – teils mit Unschärfe ausgestattet – dehnen unaufdringlich mit hoher erzählerischer Qualität die Zeit. Die Gewinnung von Grössenverhältnissen in der Relation zum Mensch ist bei Keller als Motiv zu erkennen; das Leben steht still und – wie Proust meinte – die Hinwendung zur Erscheinung, nicht das selbstgefällige Machen, ist die Saat der guten Geschichten. Keller sucht in seinen Aufnahmen eine Simultanität von äusseren und inneren (handwerklichen) Ereignissen –z.B. das überraschende und unvorhersehbare Spiel der Wolken mit den Lichtstrahlen der Sonne und der Methode bewusst gewählter Langsamkeit (Wandern) und Spärlichkeit (der Entscheid, den Moment in einem gezielten Foto zu finden und auf eine nachträgliche digitale Korrektur zu verzichten).
MARKUS FURRER (*1960) weist in seinem Werk auf die Mystifizierung der Ware Kunst und das Paradox hin, dass der damit einhergehende eigentlich animistische Gestus, ein Tabu darstellt, weil die Gesellschaft den Künstler und seine Handlungen nur in einer Unschärfe akzeptieren kann, die es erlaubt die politisch-ethische Realität – den Widerspruch zwischen Wort und Tat – zu ertragen. Wo Wüste ist, ist auch Wüste drin.
DAVIX (*1965) entzieht sich meist der malerischen Einordnung. Im Prinzip kommen seine abstrakten und geometrischen Gemälde nicht über den absichtslosen Entwurf hinaus, sofern man annimmt, Maler würden Einsichten und Erkenntnisse einbeziehen oder seien darauf aus, einen Mehrwert zu generieren, indem sie ästhetische und künstlerische Entscheidungen fällen. Davix’ Position stammt aus den 1990er-Jahren, wo die Sprache der Kunst als Mythos entlarvt und jegliche bedeutsame Geste als bürgerliche und romantische Konvention angesehen wurde. Nun – knapp zwei Jahrzehnte später – wird dieser Ansatz durch den gewandelten Kontext – der totalen Desillusionierung durch den Kunst-Hype – zum zynischen Restposten einer noch um Aufrichtigkeit bemühten Tradition politischer Anteilnahme. Die Insignien der New-age- und der Punk-Ära sind heute nur noch modische Nebengeräusche. Die perspektivlose Haltung ist heute zu einem Krankheitsbild geworden, das durch Antidepressiva behandelt werden kann. Wer sich trotzdem diesem Zustand unterwirft, ist kein Revolutionär mehr, sondern ist, für die ganz grosse Maschinerie schlicht eine Verschwendung von Ressourcen. Der homo oeconomius malt weiter, weil die Kunst eine bequeme Nische ist.