RAMON FELLER interessiert sich für Prozesse und zeitliche Abhängigkeiten innerhalb von Systemen. Was sind die Voraussetzungen, damit ein System überhaupt über eine bestimmte Zeitdauer funktionieren kann? Die beiden symmetrischen Räume in der Stadtgalerie dienen dem Künstler als Dispositiv, die darin präsentierten Skulpturen, Videos und Audioarbeiten funktionieren als dessen Referenzpunkte. Es treffen Komponenten aufeinander, die sich gegenseitig am Leben erhalten, deformieren oder auflösen. Die bewussten Eingriffe in Abläufe und Materialverhalten passieren in den hier gezeigten Werken in schleichenden Prozessen fast unmerklich. Fellers Interventionen wohnt eine sich langsam anbahnende, unmerklich grösser werdende Veränderung bei. Darauf spielt auch der Ausstellungstitel an: if you boil a frog ist im englischsprachigen Raum eine Redewendung, welche das Verhalten in Bezug auf eine unmerkliche Steigerung eines Faktors innerhalb eines Systems beschreibt – zum Beispiel den Klimawandel, das Auseinanderleben in einer Beziehung oder das falsche Lagern eines Materials über längere Zeit. Die Redewendung baut auf einem Mythos auf, der wissenschaftlich widerlegt wurde. Sie besagt, dass ein Frosch es nicht bemerkt, wenn er langsam gekocht wird, aber wegspringt, wenn man ihn in schon kochendes Wasser werfen möchte.
Auf dem Bildschirm im Eingangsraum werden die 250 bestgelisteten Filme von IMDb (International Movie Database) gezeigt. Sie werden über den Ausstellungszeitraum hin in voller Länge nacheinander abgespielt. Die Hitliste basiert auf einem Online-Ranking, das sich durch die Art und Anzahl der Bewertungen generiert. Von jüngst in den Kinos angelaufenen Streifen bis zu Filmklassikern finden sich in der Liste verschiedenste Geschichten, an die wir uns beim erneuten Sehen innert kürzester Zeit wieder erinnern. Denn das Kino ist eine Art Zeitmaschine, welche unsere Wahrnehmung verschiebt und äussere Einflüsse auf das Filmmedium zu kondensieren versucht. Wir tauchen in die gezeigten Welten ein und der Plot wird zum eigenen Erlebten. Das erneute Sehen und damit das passive Erinnern an eine Erzählung katapultieren uns sofort wieder in den Kontext zurück, in dem wir die Filme allenfalls erstmals gesehen haben. Die Arbeit do you know… lädt zum Verweilen ein und bietet uns an, die eigenen Erinnerungen auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Andererseits verweist die Arbeit auf ein Auswahl- und Wertesystem, das auf Masse und Regelmässigkeit, respektive auf Aufmerksamkeit beruht. Feller interessiert sich dafür, wie Kinofilme das kollektive Gedächtnis und unsere Vorstellungen von Dingen prägen. So haben viele von uns beispielsweise erstmals einen Dinosaurier laufen sehen, als wir Jurassicpark sahen und haben diese Darstellung in unserem Gedächtnis übernommen. Das Gesehene soll durch das Verstehen, in der Vorstellung oder durch die Kontextualisierung weitergeführt werden. In der Ausstellung bringt Feller Erinnerung, Erfahrung, Perspektive und Konstruktion in ein kritisches Verhältnis.
Die in den Durchgängen installierte Audioarbeit I said all the words in this sentence wird beim Betreten der Räume ausgelöst. Die Anwesenheit der Besucher wird durch die ausgelöste Aufnahme angezeigt. Die Soundstücke schaffen dadurch einen rhythmischen, akustischen Rahmen. Im ersten Durchgang spricht eine Computerstimme Sätze, die sich selber beschreiben und sich dadurch verlängern. In der zweiten Tür werden Wörter ausgesprochen, die poetisch klingen, allerdings Namen von Prozessoren sind. Die einzelnen Buchstaben potenzieren sich und werden dadurch zu alleinstehenden Fragmenten.
Die beiden fast symmetrischen Räume der Stadtgalerie beinhalten beide je ein Set von Arbeiten. Auf den ersten Blick sind sie nicht voneinander zu unterscheiden. Allerdings hat Feller im zweiten Raum einzelne Faktoren potenziert. Diese Steigerung innerhalb der unterschiedlichen Systeme machen die mannigfaltigen Strategien deutlich, die zur Anwendung kommen, um sich unter fortwährend wandelnden Bedingungen zu behaupten. Ein Beispiel dafür sind die zwei in den Aquarien platzierten Arten von Krebsen. Im vorderen Wassertank leben die Urzeitkrebse Artemia salina. Sie haben dank ihrer Anpassungsfähigkeit an ihren spezifischen Lebensraum seit 195 Millionen Jahren überlebt. Die Art Artemia nyos lebt im zweiten Aquarium. In den 1960er-Jahren wurden diese Krebse unter dem Namen «Sea-Monkeys» als Give-Away in Comics vertrieben. Die auf Kinder ausgerichtete Werbung inszenierte die Krebse als Tierchen, die in märchenhaften Unterwasserwelten ein königliches Dasein geniessen. Getrieben durch diese kindliche Vorstellung verschiebt sich durch das eigene Züchten der Krebse das Handeln eher zu einer wissenschaftlichen Beobachtung. Ausstellungsinformation Die gezeichnete Vorstellung eines Sea-Monkeys begegnet uns auf dem Titelblatt der Publikation No more rave. Aufgebaut ähnlich eines Skizzen- oder Tagebuchs, besteht sie aus leeren, farbig bedruckten Seiten. Die Farben sind abgeleitet vom Computerprogramm if or else, das in beiden Räumen projiziert wird. Farbige Bälle springen durch eine weisse Fläche, einen gravitationsfreien Raum, darüber pendelt ein Fangarm. Wenn ein Ball davon aufgesogen wird, erscheint die ganze Bildfläche während einer bestimmten Zeit in der jeweiligen Farbe. Diese Farben sind vom Programm zufällig bestimmt. In beiden Räumen startet das Programm mit den gleichen Grundvoraussetzungen. Ein weiterer Teil des Sets von Arbeiten sind Betonstäbe, die in Plastikfolie eingeschweisst sind, die mit Essig aufgefüllt wurde. Die Flüssigkeit greift den Beton an, wir sehen Ablagerungen davon. Im zweiten Raum ist es Essigsäure, wodurch die Reaktion schneller abläuft. Feller hat ähnlich der Montessori-Zählstäbe eine Gruppe von Stäben gegossen, deren Grössenverhältnisse von der Raumhöhe abgeleitet sind.
RAMON FELLER (*1988) ist in Greifensee aufgewachsen und studierte Bildende Kunst an der Hochschule der Künste Bern. Seit 2016 lebt und arbeitet er in Basel, ist jedoch nach wie vor Mitbetreiber des Berner Kunstraumes Milieu. 2013 und 2015 erhielt er den Kiefer Hablitzel Preis. Letztes Jahr erhielt er das 6-monatige Atelierstipendium der Stadt Bern für Kairo. if you boil a frog ist seine erste Einzelausstellung.