Der Kulturaustausch zwischen den Städten Bern und Linz, der Stadtgalerie und dem Atelierhaus Salzamt, jährt sich zum dritten Mal. Dieser bringt die Stipendiatinnen KATHARINA ANNA LOIDL (*1978, AT) und MIRIAM STURZENEGGER (*1983, CH) erstmals zusammen und vereint sie in einer Ausstellung in der Stadtgalerie. In ihrer künstlerischen Praxis zeigen sich Gemeinsamkeiten im kontextbezogenen Arbeiten: Beide Künstlerinnen messen der genauen Beobachtung und aktiven Untersuchung des bereits Vorhandenen und der Umgebung, in der sie sich bewegen, einen hohen Stellenwert bei.
Die Berner Künstlerin Miriam Sturzenegger legt den Schwerpunkt auf die direkte physische Begegnung mit dem Raum und das Erfassen der architektonischen Umgebung. In ihren Arbeiten interessiert sie sich für den gebauten Raum, in dem wir uns bewegen und mit dem wir interagieren. Die Besucher sind dazu aufgefordert, beim Gehen durch die Räumlichkeiten ein Exemplar der frisch erschienenen Publikation Renovieren / Renovating mitzunehmen. Der Text soll sie begleiten und den persönlichen Blick lenken. Auf den einzelnen Seiten sind Textfragmente blockweise angeordnet. Sie erzählen von der oben beschriebenen Begegnung mit dem umgebenden, gebauten Raum und lassen den Leser seine eigene Perspektive dazu einnehmen. Das Schreiben dieser Textfragmente geschieht bei Sturzenegger fortlaufend parallel zu ihrer installativen und skulpturalen Arbeit. Sie entstehen durch das Nachdenken der Künstlerin über den Raum und über zeitliche Veränderungen; durch Beobachtungen, aber auch durch das Paraphrasieren und Erinnern gelesener Texte und das Spiel mit der Sprache. Der durch den Leserhythmus hervorgerufene Wortklang sowie die durch die Komposition entstehenden mentalen Bilder sind zentral. Die Textsammlung kann als poetischer Metatext zu Sturzeneggers Œuvre gelesen werden. Sie existiert schon länger in unterschiedlichen Fassungen und wurde von der Künstlerin verschiedentlich in Lesungen vorgetragen. Nicht nur mit dem Titel der Publikation, sondern auch in den Textfragmenten gibt es Bezüge zu Sturzeneggers zweiter Arbeit Re-reading matter.
Im hinteren Raum sind sechs Sandsteinblöcke von der Künstlerin angeordnet. Sie sind gezeichnet von der Witterung, an manchen Stellen mit Moos überwachsen und sie tragen Spuren von handwerklicher Bearbeitung und dem Gebrauch im öffentlichen Raum. Die Blöcke wurden bei der Renovation der Stadtgalerie 2010 aus den Wänden entfernt, um die Verbindungstüren zwischen den Räumen zu schaffen. Die Künstlerin verschiebt nun das Material, das seither im PROGRInnenhof deponiert war, wieder an seinen ursprünglichen Ort zurück. Durch den Ausstellungskontext erhalten die Blöcke eine skulpturale Qualität. An einer der Stellen, wo die Steinblöcke einst herausgeschnitten wurden, hat Sturzenegger den Türrahmen entfernt, um die massiven Mauern des Gebäudes ins Blickfeld zu rücken. Die freigelegten Wandschichten und Zwischenräume legen wiederum die Geschichte der Räume offen; sie zeigen die verschiedenen Eingriffe in die Architektur, welche durch unterschiedliche Ansprüche und Nutzungsbedürfnisse entstanden sind. Die Arbeit zeigt das Interesse der Künstlerin an Renovationsprozessen und wie durch verschiedene bauliche Veränderungen Informationen verschwinden, aber auch neue hinzukommen. Mit ihrer Intervention lenkt Sturzenegger die Aufmerksamkeit auf die sichtbaren oder zum Teil versteckten Merkmale, die dem Gebäude eingeschrieben sind. Zusätzlich macht die Arbeit auf die Materialität und das Volumen der Bausubstanz aufmerksam. Der grau-grünliche, für Bern typische Sandstein, mit welchem die ganze Innenstadt gebaut ist, verkörpert das Kompakte und Massive, gleichzeitig ist er als Baumaterial durch seine sandige Textur porös und zerbrechlich. Auch die Texte in der Publikation enthalten ein verwandtes Motiv, die Künstlerin spricht dort von «Wänden aus Staub». Viele repräsentative Gebäude wie auch das ehemalige Progymnasium wurden aus Sandstein gebaut – durch ihre Massigkeit wirken sie wie abwehrende Festungen und lassen manchmal nicht erahnen, was dahinter sein mag.
Im vorderen Raum steht man vor der grossen Installation Die Synthese die niemals war der Linzer Künstlerin Katharina Anna Loidl. Ein Vlies hängt schwebend, an zahlreichen Punkten mit Fäden befestigt, von der Decke – ein grossflächiges Relief entsteht, das eine Gebirgskette andeutet. Das bearbeitete Geotextil findet seine eigentliche Anwendung in der Stabilisierung von Hanglagen, um diese nutzbar zu machen. Eigentlich ist es ein flaches Material, doch hat es die Künstlerin von Hand geformt und mit Tinte, Kalk und Sand bearbeitet. Das Übergehen vom Flachen zum Gefalteten ist ein modellhafter Prozess, ähnlich dem Verschieben der tektonischen Platten und der Bildung der Gebirgslandschaften. Historische Fotoabzüge des Schweizer Hochgebirgsfotografen Jules Beck (1825– 1904) dienten ihr als Anregung für diese Arbeit.
Ihre zweite Arbeit Landschaftsradierungen ist eine Auswahl von 18 bearbeiteten Druckgrafiken mit Landschaftsdarstellungen der Berner Alpen. Die im Zeitraum von 1835–1849 entstandenen Stahlstiche aus der Romantik hat sie bei ihrer gezielten Suche in Berner Antiquariaten und Brockenstuben gesammelt und anschliessend bearbeitet. Als Werkzeuge dienten ihr, wie bei der ursprünglichen Bearbeitung der Druckplatten, Stichel und Radiernadel. Durch das Eingreifen in die Papieroberfläche und das Entfernen der Druckerschwärze wurden Teile der Landschaft herausgearbeitet. Würde man den entstandenen Abbildungen Glauben schenken, wären es makellose Kuben mit glatter, unberührter Oberfläche. Aus den erhabenen Gebirgslandschaften ragen nun abstrakte Fremdkörper hervor. Ihre vorgegebene Materialität und Form stehen im grossen Kontrast zum rauen Gebirge. Die Schlichtheit der Formen und der Verzicht auf architektonische Details irritieren, unter anderem auch durch ihre offensichtlich verschiedenen Zeitlichkeiten, und bieten Raum für Vorstellungen. Sie lassen an touristische Einrichtungen oder Produktionsstätten denken, oder wecken Assoziationen an Fiktionen, in denen Zeichen höherer Mächte auftauchen. Oder sind es vielleicht Zukunftsaussichten der Ökonomisierung des landschaftlichen Raumes? Der Bezug zu aktuellen Diskursen ist deutlich zu spüren, wie beispielsweise zu den geplanten Türmen in Vals oder auf der Schatzalp oder zur Nutz-Architektur des Berg-Tourismus, die ungeachtet der umgebenden Natur in die Landschaft gesetzt wird.
Die Künstlerin beschäftigte sich während ihres zweimonatigen Aufenthalts in Bern intensiv mit dem alpinen Raum und den Auswirkungen ökonomischer Einflüsse auf das natürliche Landschaftsbild, was in den beiden gezeigten Arbeiten sichtbar wird.