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Jenna Bliss
Now vacant.
20.03.–08.05.2021

Die Ausstellung der Künstlerin und Filmemacherin Jenna Bliss (*1984 in Yonkers, New York) in der Stadtgalerie fügt sich aus vier Videoarbeiten zusammen, welche die Terroranschläge vom 11. September 2001 als Ausgangslage haben. Die zentrale Arbeit der Ausstellung Professional witnesses. (2021), besteht aus acht Episoden. Acht Schauspieler*innen schildern in ihrer Rolle als «Survivor» ihre persönliche Erfahrung von 9/11: Ein Lieferant, eine Rettungssanitäterin, ein Hauswart, eine Büroangestellte, ein Künstler, ein Feuerwehrmann im Ruhestand, eine Studentin und ein Wall Street Broker. Man könnte Professional witnesses. als einen «Mockumentary» beschreiben – ein vorgetäuschter Dokumentarfilm: Ein Genre, das oft Form und Konventionen des Dokumentarischen selbst zum Thema macht. Die fiktive Produktionszeit des Videos lässt sich anhand des Filmschnitts, des Castings, des Bildformats und der Mode ungefähr dem Jahr 2002 (kurz nach 9/11) zuordnen. Die Interview-Situation im Studio vor weissem Hintergrund, sowie das Plakat zur Ausstellung hat Bliss dem Werbestil der frühen 2000er nachempfunden: Benetton, Gap, Old Navy und vor allem Apples «Switch»-Kampagne des Dokumentarfilmers Errol Morris kommen einem in den Sinn. Die geskripteten Interviews wurden durch tatsächliche Zeugenaussagen inspiriert, die von der Künstlerin und Filmemacherin Ruth Sergel in ihrem Projekt Voices of 9.11 – A People’s Archive (2002 – 2003) aufgezeichnet und archiviert wurden, sowie durch Interviewtranskripte von «First Respondern», den Bericht der 9/11-Kommission und Sekundärmaterialien. Die Monologe anerkennen die Realität der Erfahrung sozialer Ungleichheit der einzelnen – und unterlaufen so die formale Sprache der Werbespots aus den 2000er Jahren, die Diversität als blosse Chiffre für einen marktliberalen Individualismus verwendeten. Damit führt die Künstlerin mit sardonischem Humor eine Spannung ein, unter der diese geskripteten Interviews zu interpretieren sind. Bliss’ Einzelausstellung Now vacant. offeriert ein Zusammenspiel unterschiedlicher Zeitlichkeiten. Sie produziert ein Vakuum, eine Vakanz. Keine Gegenwart, kein Spektakel. Die Flugzeuge bleiben am Himmel.

In ihrer Praxis verwendet Bliss filmische Technologien aus unterschiedlichen Zeiten. Ihrem angeeigneten und selbst produzierten Material ist damit immer ein materieller und ideologischer Zeitcode eingeschrieben. Diese Zeitlichkeiten transportieren ihre eigene Semiotik, die Bliss in der Montage zusammenbringt. Die dabei entstehende Dissonanz produziert keine (ahistorische) Gleichzeitigkeit, keine permanente Gegenwart. Vielmehr markiert die Künstlerin innerhalb dieser Mechanismen Ideologien und deutet historische Zusammenhänge und Kontingenz unter ihnen an. Der Titel ihrer vorhergegangenen Ausstellung late responder weist auf eine Verspätung hin.* «Obwohl es naiv sein mag, ist es nicht unbedingt nostalgisch, eine fast aufgegebene Technologie als Waffe des Widerstands zu nutzen» beschreibt Bliss ihre Praxis im Text zur Ausstellung. Ihre Arbeiten spielen mit Timing, mit vermeintlich ungeschickten Zeitpunkten und Verschiebungen, als ihre eigene Strategie der Bildproduktion und -distribution. In Zukunft – so ihr Versprechen – werden die Fragmente der jetzigen und vergangenen Ausstellung Teil eines abendfüllenden Films sein: Eine Geschichte der katastrophengeprägten Permanenz der Wall Street, beginnend mit 9/11, hin zur Wirtschaftskrise, Hurrikan Sandy und den politischen Protestbewegungen, die sich seither formierten und deren unklare Auswirkungen derzeit verhandelt werden.

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