Cédric Eisenrings Praxis umfasst unterschiedliche Medien wie Fotografie, Druck und ortsspezifische Installation. Es ist jedoch das gedruckte Bild, das seine gesamte Arbeit prägt: Drucktechnologien und -verfahren, ihre Geschichte und Möglichkeiten der Verbreitung und damit zusammenhängend, die kleinen und grossen gesellschaftlichen Transformationen, die sie mitgetragen haben. Ihn interessiert die Beziehung des Bildes zum Literarischen und Erzählerischen unter den technologischen Voraussetzungen seiner massenhaften Verbreitung. In der Ausstellung PUDER verbindet er das bleierne und schwere des Drucks mit seinem ideengeschichtlichen Stellenwert und dem Vermögen der Erzählung, andere Realitäten zu träumen.
Cédric Eisenring bedient sich Methoden, die in Bildern und Texten von Kinderbüchern wiederzufinden sind: Runter- und Hochskalierung, Wiederholung, oder Verschachtelung. Zusammen mit Carmen Tobler und Luca Beeler sammelt er seit mehreren Jahren Kinderbücher mit einem Fokus auf die 1970er und 80er Jahre. Diese Bücher brachten die Grafik, Kunst und Literatur der Avantgarde in die Kinderzimmer. Publishing und Druck wurden wieder in Anschlag gebracht für sozialen Wandel, vermittelt durch die Eltern einer aufstrebenden Mittelklasse und – so die Hoffnung – getragen durch ihre Kinder. Es waren Bücher einer Generation der Nachkriegszeit, die die Erneuerung durch die demografische Kraft selbst erfahren hatte. Sie veranschaulichen einen Glauben an Erziehung und Sozialisierung als Schlüssel zum gesellschaftlichen Wandel. Entstanden sind herausfordernde Bücher, aufwendige Drucke und eine Experimentierfreudigkeit, die es in diesem Masse im Kinderbuch noch nie gegeben hatte.
Die Büchersammlung eröffnet im ersten Raum die Ausstellung: In die bestehende Bibliothek der Stadtgalerie, mit ihrer Auswahl von Künstler*innen-Publikationen, platziert Cédric Eisenring einen weiteren Raum als Bibliothek in der Bibliothek. Es ist eine herunterskalierte Kopie desselben Raums, als ein Spiel mit Relationen, wie es in den Kinderbüchern zu finden ist – wo sich psychedelische Fieberträume mit Intertextualität und den Möglichkeiten der drucktechnischen Wiederholung vermengen.
Welche Bedeutungen produziert oder überschreibt die Verschiebung der Kinderbücher in den institutionellen und musealen Kontext? Mit dieser Frage haben sich Cédric Eisenring, Carmen Tobler und Luca Beeler im Rahmen von Ausstellungen
beschäftigt, die sie mit ihrer Sammlung realisiert haben. In der Stadtgalerie spitzt Cédric Eisenring diese Frage architektonisch zu. Eine Institution, ein Haus oder eine Villa auf Kindergrösse zu verkleinern, ist räumliche wie auch zeitliche Projektion – ein unbehagliches Bestehen auf Kontinuität. Dennoch bieten sie die Möglichkeit einer gewissen Autonomie. Es sind Räume, welche die meisten Erwachsenen nur geduckt betreten können. In PUDER müssen Massstäblichkeiten und Relationen ständig neu ausgehandelt werden. Eine Wand, die durch im Raster angeordnete Öffnungen perforiert ist, – wie eine hochskalierte Käseraffel, oder ein herunterskalierter Palazzo – erstreckt sich über die Länge der weiterführenden Räume der Stadtgalerie und bildet einen langen Korridor. Die so entstandenen Räume beherbergen eine angedeutete Gemäldegalerie von Bildern, deren Materialität sich zwischen repräsentativem Samt und geflickten Kinderhosen bewegt.
Die Drucke in PUDER entstanden ohne die Verwendung von Farbe. Unter Last pressen sich die Druckplatten in die Fasern des voluminösen und geräuschschluckenden Samts. In den Aushebungen des Holzschnitts bleiben die Fasern stehen, während sie flachgedrückt werden, wo die Platte auf dem Stoff aufliegt. Die Zeichnung, die durch diese Prägung entsteht, hebt sich mal schärfer und mal weniger scharf ab und ändert sich je nach Lichteinfall. Die durch Flicken fragmentierten Figuren in den Bildern schlafen. Ihre machtvolle Repräsentation ist nunmehr barocke Kulisse und ihre lockigen Perücken zeichnerisches Ornament. In den schlummernden Figuren hallen die politischen Karikaturen des 18. Jahrhunderts nach und ihre Kritik der aufkommenden Bourgeoisie an der Aristokratie. Die schlafenden Autoritäten haben – wie Gullivers Reisen – ihren Weg ins Kinderbuch gefunden und tauchen in Cédric Eisenrings Drucken als psychedelische Teppich-Projektionen auf. Cédric Eisenring interessiert sich in seiner Praxis für den Transfer und die Übersetzung von einem Medium zum anderen. Er bringt disparate Techniken und Motive zusammen. In früheren Arbeiten verwendete er beispielsweise Industrieabfall als Druckplatten für Kaltnadelradierungen, auf die er Motive kratzt, die der Geschichte des Drucks zu entstammen scheinen. Das eigentliche, gestanzte Industrieprodukt prägt sich als Leerstelle ins Papier. Seine Arbeiten beschwören ein kollektives Gedächtnis, während sie gleichzeitig ein ständiges Überschreiben und Verschwinden suggerieren. Zeitlich verweisen sie in alle Richtungen. Das Vergangene dringt geisterhaft durch.
In PUDER wird der Samt, der in Gemäldegalerien als Wandtapeten verwendet wurde, in die Bilder überführt. Der Samt bekommt dadurch taktile, körperliche bis häusliche Qualitäten: zwischen Mode und Möbel. Mit der Arbeit Grater (2024) wendet Cédric Eisenring das Prinzip der industriellen Stanzung auf die Ausstellungsarchitektur an. Die Perforierung lässt Leerstellen als Fensterchen entstehen. Die gesamte Ausstellung konzentriert sich hauptsächlich auf die Längswände der Galerie. Die parallel verlaufenden Wände werden so zu verräumlichten Druckebenen. Cédric Eisenring spielt in PUDER mit einer materiellen Wortwörtlichkeit von Druck und Prägung. Seine Gemäldegalerie bewegt sich in scheinbar widersprüchliche Richtungen zwischen Wiederholung, Kontinuität und Veränderung, dem Häuslichen und Öffentlichen, Kritik und Vereinnahmung.