Der Maler und Zeichner MATTHIAS WYSS (geb. 1985, Biel) entfaltet in seinen Arbeiten eine eigene, reich an Geschöpfen dichte Welt. Unzählige Menschen, Tiere, Vögel der Nacht, Fledermäuse, Schlangen und andere fantastische Wesen sind auf seinen Bildern zu entdecken. Ein ungewöhnliches, faszinierendes Aufeinandertreffen von Hell und Dunkel, ausgeprägte Wechsel zwischen anatomisch perfekter Wiedergabe von Körpern und undeutlichen, flüchtigen Bleistiftstrichen sind Merkmale seiner Kunst.
Die Ausstellung Tageslicht in der Stadtgalerie Bern zeigt eine aktuelle Auswahl von kleinformatigen Zeichnungen, die in den letzten zwei Jahren entstanden sind und versucht damit einen repräsentativen Überblick über die reiche Imagination von Matthias Wyss zu geben. Diese Welt der Imagination, die teilweise auf Werke Alter Meister verweist, (Hieronymus Bosch, Pieter Brueghel oder Francisco Goya) verwirrt. Sie scheint auf den ersten Blick von den Gesetzen der Natur und unseren gängigen Sehgewohnheiten losgelöst. Verwandlungen und Metamorphosen sind auf verschiedenen Ebenen der Bilder bemerkbar; es gibt Verwechslungen zwischen Realem und Erträumtem.
Doch inspiriert sich Matthias Wyss tatsächlich von diesen Quellen der Kunstgeschichte und der Mythologie? Will er etwas erzählen und sehen wir Serien oder einzelne Bilder? Was sind es für Szenen? Träume? Märchen? – Es wäre möglich, diesen Fragen folgend, minutiös die Figuren zu benennen, sie in den verschiedenen Bildern wieder zu erkennen und eine Erzählung daraus auszudenken. Dagegen wehrt sich aber Mathias Wyss. Er besteht auf ihre Rätselhaftigkeit, ihre Nähe und scheinbare Vertrautheit von der einen Seite und der Tatsache, dass sie auf der anderen Seite einer kohärenten Narration entrinnen.
Dank ihrer Intensität und inneren Dynamik wirken die zeichnerischen Fragmente unmittelbar und direkt. Mehrere hundert Zeichnungen sind in den letzten Jahren entstanden. Ohne Unterbruch «fliessen» die Bilder aus seinem Bleistift, sie vibrieren und ziehen Betrachtende in ihren Bann. Figuren sind frei von der Schwerkraft und scheinen in einem unbestimmten Raum zu schweben. Die ovalen Bilder sind von einem ausgesparten Rand umsäumt, was einen zusätzlichen Raum im Raum des Papiers schafft. Dank einer ausgeklügelten Zeichentechnik schafft es Matthias Wyss eine beeindruckende Illusion der Vielschichtigkeit zu erzeugen.
Oft treffen in den Zeichnungen Tiere und Menschen im Kampf oder Zuneigung aufeinander. Das Verhältnis, wie sie zueinander stehen vermag beim Betrachten tiefe Ängste und Triebe in uns hervorzurufen. In manchen Bildern wird eine parkähnliche Landschaft mit von kleinen Bäumen umsäumte Wegen von oben gezeigt: Diese perfekt angeordnete Welt kontrastiert jedoch mit stürmisch anmutenden sagenhaften Szenen, bezugnehmend auf einige Erzählungen der griechischen Mythologie – Apollo und Daphne beispielsweise. Es ist diese Gratwanderung zwischen Schönheit, Ordnung, wiedererkennbaren Mustern und dem explosiven Potenzial, welches in den Szenerien lauert und die Bilder von Matthias Wyss so faszinierend macht. In der Ausstellung wurde bewusst eine dezidierte Ausstellungsform gewählt (die Zeichnungen liegen teilweise auf Tischen), mit dem Ziel, die Bilder selber wirken zu lassen und eine unmittelbare Nähe zu erzeugen.
(Omer Allon, Assistent Stadtgalerie)