In seiner Einzelausstellung The Elect reduziert Yannic Joray (*1986 in Bern, lebt und arbeitet in Zürich) die Räumlichkeiten der Stadtgalerie auf einen schmalen Korridor, auf dessen Seitenwand sieben beleuchtete Reliefs in Schaukästen angeordnet sind. Sie lassen uns aus der Luftperspektive auf Landstriche, staatliche Infrastrukturen und in Häuser hineinblicken. Die Ausstellungssituation erinnert an fensterlose, beengende Korridore bürokratischer Verwaltungsgebäude oder an die Dioramen eines Provinzmuseums. The Elect – «die Erwählten» – beschäftigt sich mit der Ufologie, die mehr ist als eine blosse Pseudowissenschaft. Joray behandelt sie als eine spezifisch westlich-christliche Form der Religion. In der gleichnamigen Publikation, die als zentraler Bestandteil der Ausstellung aufliegt, beschreibt Joray die Verschränkungen von evangelisch-reformierten Glaubensrichtungen mit dem Glauben an UFOs und Ausserirdische, dem New Age und der Geschichte der gewaltsamen, kapitalistischen Expansion. Die Ufologie steht darin in Kontinuität mit dem reformierten und puritanischen Credo des Auserwähltseins. Ein Credo, das auch die Ideologie der Vormachtstellung des Westens untermauern soll, etwa im Sinne des «American Exceptionalism». Gleichzeitig können die Ufologie und die Berichte von Entführungen durch engelsgleiche Ausserirdische als Resonanzkörper verstanden werden, in dem sich Verdrängtes und Unaussprechbares formuliert. Hier finden die Spannungen zeitgenössischer liberaler Demokratien einen individuellen, erzählerischen Ausdruck und eine religiöse Überhöhung: Spannungen die sich zwischen dem Versprechen von Freiheit und Selbstbestimmung, expansiver Geo- und repressiver Sicherheitspolitik, sowie der Erfahrung von Ungleichheit und Diskriminierung auftun.
Nicht zufällig scheint die unheimliche Geschichte der Ufologie eng verwoben mit dem klandestinen Sicherheitsapparat der USA. In den sieben Schaukasten zeigt Joray Stationen dieser Geschichte, die mit Abschnitten seiner Publikation korrespondieren. Gemeinsam ist den Kästen, dass die Betrachtenden von oben auf die Orte dieser Stationen blicken. Die technische Entwicklung von Aufklärungssatelliten im Zuge des Kalten Krieges, welche den militärisch-invasiven Blick auf die Welt erweiterten, fällt zeitlich mit der psychedelischen und neureligiösen Begeisterung für die «Erweiterung» des Bewusstseins zusammen. Ein Interesse, das die kalifornische New Age Bewegung der 1960er und 70er Jahre mit den Militärs teilte. Ausserkörperliche Wahrnehmungen von Nahtoderfahrungen oder andere «Out-of-Body Experiences» wurden unter dem Begriff des «Remote Viewing» experimentell untersucht. In staatlich finanzierten Versuchsanordnungen begaben sich sogenannte «Psychics», menschlichen Spionagesatelliten gleich, auf eine imaginäre Reise nach vorgegebenen Koordinaten, um die dazu in Erfahrung gebrachten Beobachtungen skizzenhaft zu Papier zu bringen. Die beteiligten Forschenden der damaligen Experimente sind heute aktive Mitglieder der UFO-Community. Sie fordern vom Staat mehr Transparenz bezüglich der mutmasslich unterschlagenen UFO-Kontakte. So staatskritisch die meisten Ufolog*innen sind, verbleiben sie doch in einer gegenseitigen Anerkennung und Abhängigkeit mit der staatlichen Autorität.
Wie ein Satellit richten sich die pupillenlosen Augen der Greys, der grauen Besucher aus einer anderen Welt, von oben auf die unsere. Durch diesen alles überwachenden, paralysierenden Blick schauen die «Erwählten» letztlich auf sich selbst zurück, denn «The eyes of all people are upon us».*
Benjamin Saurer, Künstler und Organist aus Berlin, hat die Ausstellung mit einem Orgelstück vertont, das sich an den Werken von Jean Langlais und Johann Pachelbel, New Age Meditationsmusik und Drone orientiert.
Susan Lepselter, ausserordentliche Professorin für Amerikanistik und Anthropologie an der Indiana University Bloomington und Autorin des Buches The Resonance of Unseen Things: Poetics, Power, Captivity, and UFOs in the American Uncanny (2016) wird die Ausstellung mit einem Podcast begleiten.
*John Winthrop, A Model of Christian Charity, 1630.
Unterstützt durch:
Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung
Stiftung Erna und Curt Burgauer