KARIN LEHMANN untersucht in ihren aktuellen Arbeiten die Eigenschaften und Gesetzmässigkeiten des Materials und nutzt sie spielerisch für ihre eigenen Zwecke. Ihre Arbeit im Atelier gleicht derjenigen eines Labors. Gefundene Objekte und industriell gefertigte Rohstoffe – Gips, Kunststoff, Metall und zahlreiche andere kunstnahe und auch kunstferne Stoffe – nutzt sie für ihre Experimente. Bis zum Werk ist es häufig ein langwieriger Prozess, der in der Regel weder konzeptuell noch linear verläuft, sondern sich vielmehr als einen Dialog mit dem Material beschreiben liesse, der immer wieder überraschende Abzweigungen nimmt, den Zufall als Möglichkeit akzeptiert und immer wieder neue Möglichkeiten produziert. In der aktuellen Ausstellung zeigt Karin Lehmann eine extrem fragile Wandarbeit, bei der statisch geladene Styroporpartikel mittels eines speziellen Verfahrens durch Reibung statisch aufgeladen und schliesslich auf die Wand aufgetragen wurden. Was zunächst wie grober Wandbelag erscheint, ist äusserst flüchtig – denn nach und nach werden die statischen Kräfte schwinden und die winzigen Teilchen, die in mühsamer Handarbeit auf die Wand aufgetragen wurden, werden zu Boden fallen.
Karin Lehmann (*1981, Bern) hat an der Hochschule der Künste Bern Fine Arts studiert und lebt in Bern.
In der Videoinstallation von MONIKA RECHSTEINER wird ein zur Ruine verfallener Rohbau zum Resonanzkörper. In einer kontinuierlichen, irritierend ruhigen Bewegung gleitet die Kamera durch die Gänge und Schächte des stillgelegten deutschen Atomkraftwerks Stendal. Die Kamera nimmt die Architektur wortwörtlich ins Bild: durch geschickte Montagetechnik wird die Ruine nie in ihrer räumlichen Struktur und Logik erfahrbar, sondern erscheint als labyrinthische, bildhaft-abstrakte Verschachtelung sich bewegender Oberflächen und Raumvolumen. Gleichzeitig wird die Ruine zur unergründlichen Klangkulisse des Zerfalls: Entfernte Umgebungsgeräusche hallen in den rohen Oberflächen von Beton und Metall wieder und kleinste Bewegungen verstärken sich zu Ereignissen, welche die verlassene Ruine in ihrer Materialität klanglich zu Erkunden scheinen. Die Arbeit changiert dabei stets zwischen Geräusch und Musik, zwischen Dokumentation und Inszenierung.
Monika Rechsteiner (*1971, St. Gallen), studierte an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Luzern und an der Universität der Künste in Berlin. Sie lebt und arbeitet in Berlin.
Die Arbeit von MAJA RIEDER bezieht sich auf architektonische Begebenheiten in einem alten, kleinräumigen Haus. Sie ist das Resultat der Erfassung der Volumen der Räume und deren Neuinterpretation in monumentalen Formaten. Die Arbeiten entstehen als Graphitzeichnungen auf Papier. Das dreiteilige, schon während seiner Entstehung verbundene Werk, zeigt unterschiedliche Spuren der Ausführung. So wurde der Graphit teils in ausholender Gestik, teils zurückhaltend auf das Papier gerieben. Die flüchtige Graphitbeschichtung ist nicht fixiert und verändert sich bei jeder Installation. Die Arbeiten von Maja Rieder hinterfragen immer auch ihre eigene Zeitlichkeit und verweisen damit auf die Vergänglichkeit ihrer Referenzobjekte. In der Stadtgalerie, losgelöst aus ihrem ursprünglichen Kontext entfaltet das Werk als Bild eine neue Qualität. Die Wandarbeiten korrespondieren mit ihrer Umgebung und beeinflussen die Wahrnehmung des Raumes.
Maja Rieder (*1979, Niederbipp) hat nach einer Lehre als Goldschmiedin an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel studiert. Sie lebt und arbeitet in Basel.
RETO STEINER baut Trockensteinmauern in Museen auf und stellt Findlinge in Schaufenster. Seine Rauminterventionen irritieren mit vertrauten Bildern im falschen Kontext. Auch die neue Arbeit in der Stadtgalerie legt vermeintlich die Geschichte des Gebäudes frei. Unter den Gipsplatten kommt eine monumentale Kalksteinmauer mit Witterungsspuren zum Vorschein. Der zweite Blick jedoch straft die Vermutung der Freilegung sofort Lügen. Die Arbeit zeigt offen, wie sie entstanden ist: Sie ist das Abbild von einem Teil eines Aquäduktes in Frutigen. Dass technisch der Gipsabguss für die Realisierung eines solchen Reliefs eingesetzt wird, liegt zwar auf der Hand. Dass dieses aber ein beständiges, archaisches Bauwerk simuliert, verleiht dieser Arbeit auf Zeit zusätzlich eine Ironie, die mit dem gewählten Format und der Platzierung im Raum auch das traditionelle Tafelbild einbezieht.
Reto Steiner (*1978, Frutigen) studierte nach einer Lehre als Steinbildhauer an der Hochschule der Künste in Bern, wo er 2010 mit einem MA in Contemporary Arts Practice abschloss. Er lebt und arbeitet in Frutigen.
Kuratiert von Anna Bürkli / Martin Waldmeier