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Rita Siegfried
Das belagerte Zimmer
11.11.–17.12.2022

Wären diese Räume real, was wäre erforderlich, um die Trennung aufrechtzuerhalten? Zwischen dem, was «aussen» existiert, und dem, was dem «Innen» vorbehalten ist. Und was würden sie wem abverlangen? Was wäre sichtbar, was bliebe ver­borgen? Sie würden mehr beanspruchen als blosse Wände. Die Räume in Rita Siegfrieds Malereien sind durch und durch Bild. Dennoch geht von diesen Orten der Kontemplation, des Rückzugs, der Heimarbeit eine Spannung aus. Es scheint, als könnten diese Räume nicht ohne die Verdrängung anderer Realitäten existieren. Diese Verdrängung macht die Künstlerin erahnbar durch die vehemente Undurchlässigkeit der verführerischen Raumillusi­onen ihrer Bilder.

Ich blicke auf das Gemälde, in einen Raum, auf ein Gemälde im Raum. Ich blicke durch das Fenster in einen Garten; in meinem Kopf öffnet sich kein Fenster, sondern eine weitere Seite eines imaginären Buchs westlicher Kunstgeschichtsschreibung. Die Tiefe dieser Räume ist Tiefe insofern, als sich ein Bild über ein anderes legt. Rita Siegfrieds Malereien basieren auf Collagen. Dabei bedient sie sich unterschiedlichster Quellen: Sie greift auf Kunst­kataloge, Bilder, die sie online findet, oder Muse­umsfotografien zu. Mit Akribie gleicht die Künstlerin diese Vorlagen malerisch einander an und kreiert so hermetische Bildräume. Die vormaligen Bruch­stellen der Collagen sind in Rita Siegfrieds Male­reien nur noch zaghafte Irritationen, die meinen Blick kaum mehr aus dem Bild in eine ihm äussere Realität zu führen vermögen. In den Bildern selbst gibt es kaum Bewegung, wenn überhaupt, dann an den Rändern, als ein Aus-dem-Bild-Treten, das die Bild- und Ausschnitthaftigkeit der Malerei eher noch betont. Wiederholt tauchen Tiere auf, zu Porzellanobjekten erstarrt. Die Bewohner:innen dieser Räume, so scheint es, sind der Überzeitlich­keit des Bildes verpflichtet, der ideellen Unend­lichkeit der Kunst. Auf diesen aufgeräumten Bild­räumen lastet eine Autorität des Bewahrens, der Ordnung und der Meisterhaftigkeit.

Licht ist ein weiterer Protagonist. Aus dem Garten dringt es ins Innere ein und unterstützt den Eindruck eines zusammenhängenden Raums, indem es das unterschiedliche Quellmaterial, das den Bildern zugrunde liegt, glaubhaft miteinander verbindet. Eine weitere Lichtquelle schleicht sich nur unmerklich ein: das Eigenleuchten digitaler Bilder auf dem Bildschirm betrachtet. Oft überarbeitet die Künstlerin ihre Malereien, nachdem sie eine fotografische Reproduktion davon angefertigt hat. Die Intensität der Farben am Bildschirm überträgt Rita Siegfried dann in einer weiteren Bearbeitung zurück auf das gemalte Bild. Es entstehen entrückte Bildräume, die sich zwischen Bruch und Kohärenz bewegen. Ihre akribische Malerei legt sich wie ein Filter über das Quellmaterial. Die spezifische Zeit­lichkeit bleibt dem Ausgangsmaterial vor allem über Stil der Architektur und Einrichtung einge­schrieben. Die Bearbeitung, Materialität, Faktur des Originals geht aber meist zu Gunsten der Infor­mationsdichte des Bildraumes verloren. Der Zugriff auf vergangene Malereien wird zum Zugriff auf ein Formenrepertoire. Rita Siegfrieds Räume sind beinahe frei von Technologie und sie selbst verwendet eine Jahrhunderte alte Technik der Malerei. Dennoch sind diese Bilder näher am Digitalen, als der erste Blick es erahnen lässt: Sie bedienen sich Vergangenem ohne Historizität zu schaffen und grenzen das Reale zu Gunsten begeh­renswerter Raumillusionen aus. Sie tun dies mit einer offensichtlichen Vehemenz, die sich als Span­nung im Bild äussert. Der digitale Aspekt ihrer Praxis bleibt in der manchmal klaustrophobischen Ausschnitthaftigkeit, dem negierten Sampling und dem leichten Eigenschimmer ihrer Bilder latent präsent.

Die angeordneten Kunstobjekte, Vasen, Sträusse, Bilder und Bücher in diesen Räumen haben eine eigentümliche Präsenz. Sie scheinen beinahe belebter als die wenigen Menschen und Tiere darin. Als Vorlage des Bildes Vergissmeinnicht (2020. In der Publikation Rita Siegfried – Das belagerte Zimmer: S. 26) diente Rita Siegfried eine Malerei von Carl Holsøe (1863–1935). Die zentrale Frauenfigur tauscht die Künstlerin mit jener aus Toulouse-Lau­trecs (1864–1901) La Blanchisseuse (1886) aus. Sie schaut aus dem Fenster ausserhalb des Bildraums und erscheint in Rita Siegfrieds Version den Betrachtenden nunmehr indirekt als Spiegelbild. Die schmale Vase auf der Kommode ersetzt sie mit einer Kristallvase von Baccarat, die sie einem Einrichtungsmagazin entnimmt. Die üppige Vase schiebt sich vor die Figur, die sich in blasser Entfer­nung im Spiegel abzeichnet. Das Paar aus David Hockneys Bild Mr and Mrs Clark and Percy (1970/1971) wird in Rita Siegfrieds Version Sommer (2021. In der Ausstellung: 16) selbst zum Bild. Während Hockneys Bild einen bestimmten Zeitpunkt innerhalb der Biografie der Portraitierten markiert und sich mit den Konventionen des Hoch­zeitsportraits beschäftigt, wird in Sommer die Zeit­lichkeit der Bewohnenden jener der Räume untergeordnet. Getrennt voneinander erscheint das Paar an der Wand, als zum Bild gewordene Erinnerung. Der Rahmen der beiden Portraits gleicht sie dem dritten Bild im Raum an, das Hockney als Zitat seiner eigenen Malerei und Zei­chen der Beziehung des Malers zu den Portraitierten ins Bild gesetzt hatte. Damit betont die Künstlerin den Objektstatus der Portraitierten ihrer Version. Bloss die Katze regt sich und schleicht sich aus dem Bild, nur um wiederum oberhalb im Portrait des Mannes zu erstarren.

In der Ausstellung dringt ein Element ihrer Malerei in den Raum ein: Eine rote Säule – ein Marmor Trompe-l’oeil auf einer industriellen Kartonröhre – schiebt sich vor die Raumflucht. Als gelernte Vergolderin ist die Künstlerin darin geschult, teure Materialien mit handwerklichem Geschick und Arbeitsaufwand zu imitieren. Sie fertigte Bilder­rahmen, bevor sie sich vorwiegend der Malerei widmete. Die Technik der Vergoldung übernahm sie und überführte sie ins Bild: Die Holztafeln ihrer Malereien behandelt und grundiert die Künst­lerin, als würde später Blattgold aufgetragen werden. Ihre Bilder benötigen keine Rahmen. Sie machen die Abgrenzung zu dem, was ausserhalb sein könnte, als Spannung erfahrbar. Nicht die Toten geistern hier, sondern das Lebendige sucht Einzug. Rita Siegfried inszeniert tradierte Dicho­tomien der Malerei und setzt ihre Grenzziehungen als latenten Druck erfahrbar ins Bild. Bourgeoise Raumfantasien zeigen sich in Rita Siegfrieds Bildern als einnehmende Illusionen und doppelsin­niges, betrügerisches Spiel der Malerei.

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