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Emotion Is an Unlimited Resource
Marc Asekhame, Ilya Lipkin, Richard Sides, Gili Tal
24.05.–29.06.2019

Emotion Is an Unlimited Resource funktioniert als Kippbild. Es handelt sich um ein Motto der internationalen Werbeagenturen mit ihrem unablässigen Optimismus einerseits: hier ist Emotion eine unerschöpfiche Ressource für grenzenloses Wachstum. Andererseits suggeriert diese Behauptung auch eine sich ausbreitende Erschöpfung angesichts der Vorstellung, dass jede Regung wieder in die leerlaufenden Kreisbewegungen wirtschaftlicher Verwertung eingespeist werden kann. Aus dieser scheinbaren Ausweglosigkeit bewegen sich Fluchtlinien. Sie weisen in die Richtung kleinerer sozialer Einheiten, welche individuelle Erfahrung und Authentizität versprechen.

Wir tendieren dazu, Fotografien persönlich zu nehmen. Bilder schauen uns heute genauso an, wie wir sie – Bilder affizieren die Betrachtenden. Oft fordern sie zur Regung, selten zur Handlung auf. Auch wenn uns heute, nach der sogenannten digitalen Revolution, klarer denn je ist, dass Bilder ihre ganz eigene, oft widersprüchliche Beziehung zur Wirklichkeit haben. Was sie hervorbringen sind Wirklichkeitseffekte, welche durch ihre Verbreitung kurzzeitig beglaubigt werden – unter anderem in den fotozentrierten, sozialen Medien. Die Linsen unserer Geräte sind heute rund um die Uhr vor allem auf uns selbst gerichtet. Eine Kamera hat die doppelte Fähigkeit, gleichzeitig zu verdinglichen (zu objektivieren) und zu verinnerlichen (also zu subjektivieren). Wir lassen das Persönliche als «Content» zirkulieren, um die gesellschaftliche Selbstverortung über die Fotografie zu leisten. In diesem Kreislauf wird das Persönliche zu Ware und Währung einer neuen Wirklichkeit der Bilder.

Die Technologie tendiert dazu, Bildinhalte so zu bürsten, dass sie für Maschinen lesbar werden. Eine ganze Infrastruktur von Hard- und Software ist darauf ausgelegt, zum Zweck von Marketing und Überwachung, Regungen zu erfassen und auf zukünftige Regungen zu spekulieren. Fotografie wird so Teil einer heute herrschenden Affekt-Maschinerie, innerhalb derer sie als Information gemanagt und vermeintlich auch selbst-gemanagt werden kann.

Und wozu tendiert nun die Kunst? Marc Asekhame, Ilya Lipkin, Richard Sides und Gili Tal fotografieren selbst oder benutzen Fotografien als Ausgangsmaterial ihrer Arbeiten. Es ist die aktive Auseinandersetzung mit den visuellen Reizen der unablässigen, digitalen Bildproduktion, die ihre Praxis vereint und Ausgangspunkt für die Gruppenausstellung Emotion Is an Unlimited Resource ist. Auch diese Auseinandersetzung bleibt Kippbild. Sie positioniert sich kritisch gegenüber den materiellen und ideologischen Abgründen der wechselseitigen Erschaffung von Bild und Realität, Individuum und Gesellschaft. Es ist jedoch auch eine Art von Kritik, die ohne Teilhabe an dieser Wirklichkeit nicht auskommt.

Emotion, Affekt, Gefühl – das Reich dieser Regungen wird schliesslich als grundlegend zwiespältig deutlich. Und nicht erst seit der Psychoanalyse kennen wir den Riss durch das Selbst; ein Riss, in dem, gleich einer Mauer, Leben wächst und Vorstellung gedeiht. Die Frage nach der Manipulation und Verwertbarkeit jener Regungen, von denen Emotion Is an Unlimited Resource handelt, drängt sich auch hier wieder auf. Wir wollen sie nicht entscheiden. Sondern neue, kippende Bilder möglich machen.

MARC ASEKHAMES Serie Zdenek Vapenik (I–V) (2019) sind Fotografien des in Bern lebenden Grossvaters des Künstlers. Zdenek Vapenik war selbst Fotograf. Asekhames Praxis bewegt sich zwischen verschiedenen fotografischen Genres wie der Mode-, Dokumentaroder der Editorial-Fotografie. In seiner Arbeit interessiert er sich für das Sichtbarmachen etablierter Konventionen dieser Genres und den entsprechenden Kontexten, unter denen ein Bild produziert wird. Die immer wieder diskutierte Unterscheidung zwischen künstlerischer und kommerzieller Fotografie wird in seiner Praxis bewusst ausgehebelt. Zdenek Vapenik (I– V) nimmt sich dem Genre des Familienportraits an und macht die technischen Mittel explizit, mit denen dieser persönliche Raum und die Beziehung inszeniert und reproduzierbar gemacht wird. Aus dieser Serie konzipierte Asekhame das Ausstellungsplakat, wobei das vermeintlich private Bild, eine über die Ausstellung hinausgehende Öffentlichkeit erlangt.

Die fotografische Serie von ILYA LIPKIN, der wie Asekhame als Modefotograf tätig ist, zeigt Einzelpersonen und Jugendliche in Gruppen rund um den Primark am Alexanderplatz in Berlin, ein international tätiges «fast fashion» Kaufhaus. Wenig lässt auf den spezifischen Ort der Aufnahme schliessen. Das historische Genre der Strassenfotografie, mit dem einstigen Versprechen der Fotografie als ein rohes Dokument des Alltäglichen, hallt hier nur noch nach. Lipkins Bilder sind einerseits von der Momentaufnahme geprägt, entschiedener aber durch ihr Editing: die Auswahl, Nachbearbeitung und Zuschnitt. Die abgebildeten Personen scheinen sich ihrer eigenen Repräsentation bewusst zu sein. Die Blickrichtungen der Bilder verlaufen in alle Richtungen; Eine Art flache Distribution der Zeichen.

RICHARD SIDES Arbeiten drehen sich oft um die gegenwärtige politische- und ökonomische Krise und andere Formen von Gewalt. In der Stadtgalerie zeigt Sides eine vor Ort erarbeitete, multimediale Installation, die sich um das Zusammenwirken von Maskulinität, Technologie, Markt und Gewalt dreht. Seine Arbeiten zeichnen sich durch eine Perspektive auf aktuelle Themen aus, die ohne die vermeintliche Sicherheit eines klaren, kritischen Standpunktes auskommt. Sides bedient sich dem uns umgebenden Überschuss an Informationen: Fragmente aus Magazinen, JPGs, YouTube-Clips, Sound-Elemente, Zitate aus Populärwissenschaften. Am Horizont von Sides Video Like a pig in shit (zu Dt.: pure Freude, wenn alles zu den eigenen Gunsten läuft) zeichnen sich Brüche ab. Ein Monolog im Off kreist in einem Bewusstseinsstrom um die Unzulänglichkeit der eigenen Wahrnehmung und des Verhältnisses des Selbst zu den sozialen und materiellen, nichtmenschlichen Realitäten, die auf uns einwirken. Das Video führt gleichzeitig vor, wie Affekt, Bedeutung und Perspektiven über Bild und Ton generiert werden.

Adult birthday, Modern highlights, Simple wood und Geometric fun (2019) sind die Titel von GILI TALS digitalbedruckten Leinwände. Sie zeigen Bilder aus Zentren des internationalen Tourismus; Einen globalisierten, westlichen Lifestyle. Persönliche Bilder der Künstlerin mischen sich mit Stockfotografie, d.h. Bilder die von Bildagenturen auf Vorrat produziert, vertrieben und verkauft werden. Ein Bild eines VW Bus-Modells strahlt die Freiheit individuellen und autonomen Reisens aus, wie zu Zeiten des kulturellen Aufbruchs; Abgetragene Chucks atmen die Geschichte der Subkulturen. Dazwischen Bilder, die als Zeichen der fortlaufenden, neoliberalen Umnutzung des städtischen Raumes gedeutet werden können: «Neukölln lässt sich leichter schönmachen als schönreden» (Geometric fun). Tals Arbeit beschäftigt sich mit der unfreiwilligen Verschmelzung von persönlicher Notwendigkeit eines effektiven Lebens und wirtschaftlicher Vereinnahmung durch Werbebilder, die heute auf derselben Ebene zirkulieren, auf der wir sozial interagieren, arbeiten und Einkäufe betätigen. Als Teil ihrer Arbeit liegt ein Text der Künstlerin in der Ausstellung auf.

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