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Nothing, really: Ein Dialog zwischen Bern und Antwerpen
Oscar Hugal, Mark Luyten, Karen Amanda Moser, Annaïk Lou Pitteloud, Vaclav Pozarek, Steve Van den Bosch
13.08.–15.09.2015

Als Auftakt ihres Ausstellungsprogramms hat Ba Berger, die neue Leiterin der Stadtgalerie, drei Ausstellungen geplant, die das regionale Schaffen in einen internationalen Austausch stellen. Sie hat dafür die Kunstschaffenden Annaïk Lou Pitteloud, Michael Günzburger und Eva-Fiore Kovacovsky eingeladen, die eng mit der Berner Kunstszene verbunden sind, jedoch nicht mehr in Bern leben. Die drei laden für ihre Ausstellungen je weitere Künstlerinnen und Künstler aus Bern und ihren jetzigen Lebensmittelpunkten ein, denn Kunstschaffen wird unter anderem von Studien, Auslandaufenthalten und Künstlerfreundschaften geprägt. Den Anfang macht Annaïk Lou Pitteloud. Sie wuchs in Lausanne auf und studierte 2002–2005 an der Hochschule der Künste Bern (HKB). Seit 2011 lebt sie in Antwerpen und arbeitet seit 2012 an der HKB als Assistentin im BA Fine Arts.

Nothing, really. Ein Dialog zwischen Bern und Antwerpen geht künstlerischen Strömungen, Netzwerken und Dialogen über die Generationen und Regionen hinweg nach: Vertreten aus Bern sind die Kunstschaffenden KAREN AMANDA MOSER (*1988), ANNAÏK LOU PITTELOUD (*1980) und VACLAV POZAREK (*1940) sowie aus Antwerpen die Künstler OSCAR HUGAL (*1986), MARK LUYTEN (*1955) und STEVE VAN DEN BOSCH (*1975).

Kunstschaffen ist kaum je eine einsame Sache und ist im Wesentlichen ein Dialog, der von kunsthistorischen sowie persönlichen Beziehungen und Referenzen bestimmt wird. Die Ausstellung vereint sechs Künstlerinnen und Künstler, deren künstlerische Praxis sich in sehr verschiedener Art auf die Konzeptkunst als Werkzeugkasten bezieht. Sie alle standen in den vergangenen Jahren auf unterschiedliche Weise miteinander im Austausch. Analog zu dieser fortwährenden Diskussion entwickelten sie gemeinsam ein Ausstellungsszenario. Der Dialog ist somit Ausgangspunkt und Resultat dieses Projektes. Gemeinsam ist den Werken eine Leichtigkeit, mit der bestehende Formen ausgeliehen und transformiert werden und mit der Vorhandenes und dessen Konditionen getestet werden. Formal wirken die Arbeiten reduziert. Lässt man sich auf die Werke ein, entwickeln sich Bedeutungsebenen, die das Objekt zum Narrativ machen. So existieren in der Ausstellung unterschiedliche Zeitlichkeiten, bei welchen immer auch der Versuch mitzuschwingen scheint, Momente festzuhalten.

MARK LUYTENS Nothing, Really (2010) schleust einem in die Ausstellung und besteht aus zwei gegenüberliegenden Projektionen. Verschiedene Sequenzen zeigen das Gesicht des Künstlers in unterschiedlichem Alter. Diese entstanden zwischen 1992 und 2007 jeweils nach Filmaufnahmen, quasi als Restmaterial und verdeutlichen das Video als zeitbasiertes Medium. 2015 überarbeitete Mark Luyten die Version und überlagerte die Gesichter mit dekorativen Computereffekten (N thing, eally). Zwischen dem zweigeteilten Protagonist spielt sich ein zeitlich unmöglicher Dialog ab. Dieser stammt aus einer Szene des Films Paris – Texas (1984) von Wim Wenders: die Hauptperson Travis sieht seine Exfrau Jane nach langer Zeit zum ersten Mal wieder. Er sitzt in einer Peepshow-Kabine, während sie auf der als Hotelzimmer ausgestatteten Bühne ihre Show abzieht. Über ein Zimmertelefon sprechen die beiden miteinander, ohne dass sich Travis zu erkennen gibt.

Als Besucher erfährt man auch mit OSCAR HUGALS If a Tree Falls in a Forest and No One is Around to Hear it, Does it Make a Sound? (2010) ein exklusives, fiktionales Zeiterlebnis: Die Uhr ist mit einem Bewegungssensor versehen und die Zeit läuft somit nur, wenn sich jemand in den Ausstellungsräumen aufhält.

Das Gegenteil ist bei Expanding the day (2015) von KAREN AMANDA MOSER der Fall. Das Werk ist während des Ausstellungsbesuchs nicht als Ganzes erfahrbar, es entsteht eine Lücke im Bild der Ausstellung. Denn erst wenn es dunkel wird und die Stadtgalerie-Räume längst geschlossen sind, zeigt sich die Materialeigenschaft des phosphoreszierenden Pigments. Auf dem Sims platziert, wird das Fenster zu einer umgekehrten Vitrine, in der das Werk nicht vor äusseren Einflüssen geschützt wird, sondern klimatischen Verhältnissen und Schmutz schutzlos ausgesetzt ist. In Exchanging the top (2015) muss der Besucher dem Werk entlang schreiten, um es zu erfahren. Was passiert in Raum und Zeit, bis der Besucher bei Erreichen des zweiten Stabs realisiert, dass die beiden oberen Teile ausgetauscht wurden? Etliche der Werke können auch als Kommentar in Bezug auf die künstlerische Produktion, das Ausstellen und das Interpretieren gelesen werden. Bewusst führen diese die Besuchenden jedoch immer wieder ins Abseits.

VACLAV POZAREK spielt in Halb offen (1995) mit dem Objektstatus und benützt die Skulptur quasi als Werkzeug. Seine minimale Geste verwirrt, als Besucher ist man unsicher, ob die Kiste ein Readymade ist oder eine Replika darstellt. Der Gummistiefel in Grey Hole (2011) wird seiner isolierenden Funktion offensichtlich nicht mehr gerecht. Gleichzeitig scheint er ungetragen. Im Gegensatz zum abgewetzten Fussboden fehlt ihm die Patina, welche die Beschädigung erklären würde.

Auch STEVE VAN DEN BOSCH entzieht der Form in Easy Listening for the Hard of Hearing (for B.R. & F.T.) (2015) ihre Funktion, in dem das Objekt – eine gefundene Lautsprecher-Befestigung – isoliert präsentiert ist. Durch die verchromte Oberfläche spiegelt es sich selbst und weist so von sich weg. Der Künstler interessiert sich dabei dafür, wie sich unser Blick verändert, sobald wir einer abstrakten Form ihre Funktion zuordnen können. Der Titel ist einem Album von Boyd Rice und Frank Tovey von 1984 entliehen. Die Soundkompositionen entstanden durch im Studio vorgefundene Gegenstände und Umgebungsgeräusche.

White between the Darlings [Singular Activities] (2014) von ANNAÏK LOU PITTELOUD scheint ein klassisches Kunstwerk zu sein, gerahmt und passepartouriert. Bei näherer Betrachtung merkt man, dass die beiden Darstellungen Reproduktionen von Kunstwerken anderer Kunstschaffender sind. Der Inhalt ist zitiert, sein Träger wird zum eigentlichen Inhalt, was auch der Werktitel verdeutlicht, der den Fokus auf das Dazwischen legt.

Oscar Hugal stempelte in Disappearance Through Quotation (2015) das Zitat des amerikanischen Konzeptkünstlers Douglas Huebler «The world is full of objects, more or less interesting; I do not wish to add any more.» so lange auf eine Karteikarte, bis sich durch das Vermindern der Tinte die Sprache aufzulösen begann. Durch das endlose Wiederholen scheint der Satz an Bedeutung zu verlieren. Eine Störung im Objektstatus entsteht durch die Platzierung des Werks: Es ist auf die klassische Höhe eines Werkschildchens gehängt, gleichzeitig ist die Karteikarte gerahmt.

In Steve Van den Boschs Above my head, from the floor up (2015) wird ein übriggebliebenes Volumen zur Skulptur: Ein Massband ist auf die Körpergrösse des Künstlers ausgezogen und kehrt so dessen Raumgefühl massgetreu um.

Annaïk Lou Pittelouds Delayed (2012) ist in einem Durchgang platziert. Der Zähler ist bei 1968 stehen geblieben. Diese Zahl fällt plötzlich mit etwas völlig Anderem zusammen und wird zum Bild einer vergangenen, ikonenhaften Zeit.

Mark Luyten thematisiert in seinen Werken oft das Atelier als Ort künstlerischer Produktion. In Voici mes fleuves II (2012) denkt er über das Fehlen von eigenständigen Wörtern zum Beschreiben von «Nicht-Qualitäten» nach, während er scheinbar ziel- und endlos eine Glaskugel in seinem Studio umherrollen lässt. Das technische Material, welches zur Projektion benötigt wird, ist zum aktiven Bestandteil des Werkes geworden und ergibt einen Kreislauf. Einen solchen erweitert Karen Amanda Moser in Keep the flow flowing (2015), indem sie einen Liter Wasser der Aare in die Schelde und umgekehrt schüttete.

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