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Slow Dance (2)
Michael Van den Abeele, Ruth Angel Edwards, Gretchen Lawrence, Lulou Margarine, Dani & Sheilah ReStack
08.04.–06.05.2023

Slow Dance fügt sich aus sechzehn unterschiedlichen Szenerien in vier Ausstellungen über einen Zeitraum von einem halben Jahr zusammen. Während dieser Zeit bleiben die Räume durch zwei Wände mit je einer Türe strukturiert. Anstatt Überblick zu geben, offerieren sie Passagen. Slow Dance könnte das Verhalten einer Person im Gespräch
beschreiben. Dabei versucht diese mit zurückhaltenden Hinweisen Reaktionen beim Gegenüber zu provozieren, um so dessen Gesinnung in Erfahrung zu bringen. Langsam werden hier die politischen Implikationen dieser unterschwelligen Choreografie sichtbar.

Slow Dance (2) ist das Ergebnis einer laufenden Auseinandersetzung über die Konvergenz
zwischen den Besonderheiten des Ausstellungsmachens und jener der Installation. Die Kunstwerke und Objekte, die in der Struktur der Ausstellung zusammenleben, bilden eine miteinander verbundene Logik, die das Leben in ständiger Beziehung mit verschiedenen aktiven Zeitlichkeiten und Zeiträumen versteht. Die Art und Weise, wie wir der materiellen Welt begegnen, ist gleichzeitig eine Form des Kompromisses und eine Erfahrung
prekärer Akkumulation. Massstäblichkeiten, Wachstum und Geschichte wirken auf unseren Sinn für Ideologie.

Ein Huhn überquert die Strasse und läuft zu mir herüber. Es erzählt mir, dass die Dinosaurier nie wirklich ausgestorben sind. Es ist ein altes Huhn, das kann ich deutlich sehen. Die Partie um seine Kulleraugen verrät mir sein Alter. «Schau dir meine Beine genau an», sagt das Huhn. «Meine drei Zehen, sieh dir die Haut an, das Leder. Erkennst du es nicht? Die Dinosaurier sind nie ausgestorben», meint das Huhn. «Wir sind nur immer kleiner geworden, bis wir unbedeutend waren, wie alles, was älter wird. Du brauchst nicht zu graben oder nach einer besseren, verborgenen Wahrheit oder Bedeutung oder nach Knochen zu suchen – geschweige denn, diese Knochen wieder zum Leben zu erwecken … es ist nicht nötig, Dinosaurier wieder zum Leben zu erwecken, denn … wir sind nie wirklich ausgestorben, nicht wahr?» … Das Huhn schaut sich um, als wolle es mir zeigen und versichern, dass es ein Teil dieser Welt ist und hier und jetzt in ihr steht. «Wir haben uns nur langsam entwickelt», fährt das Huhn fort, «in etwas Be­scheideneres und Gefiedertes und vielleicht weniger Abgesehen vom Alter kann ich in seinen Augen Freundlichkeit erkennen. Ich suche nach einem Ton, der nicht zu verletzend oder arrogant klingt, und ich sage dem Huhn, dass mir das alles egal ist. «Du bist nicht wichtig», sage ich dem Huhn. «Sieh dich um. Sieh dir all das Elend an, kannst du das tun? Die Menschen sind nicht glücklich, sie leiden, und deine Geschichte, deine persönliche Biologie, sie bringt keine Hoffnung, sie inspiriert nicht. Das Einzige, was wirklich wichtig ist, das Einzige, was interessiert, ist der wiederauferstandene Dinosau­rier. Ich bin froh, dass wir uns getroffen haben, denn jetzt kann ich dich vergessen.»
Michael Van den Abeele, 2021

Das Aufnehmen von Interaktionen und Handlungen aus der First-Person-Perspektive erinnert an Videospiele. Seit einiger Zeit wird das Internet (durch die Popularität der GoPro und Weitwinkel­kameras) mit auf diese Weise aufgenommenen Inhalten regelrecht überflutet: Extremsportarten, banale Alltagsaktivitäten, Stadterkundungen und Auto-Dashcam-Sichtungen von Meteoriten, die in die Erdatmosphäre eintreten. Könnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis die Technologie in das menschliche Gehirn hineinsehen kann, um Sinnes­eindrücke aufzuzeichnen und abzuspielen?

In den 1970er-Jahren entwickelte die Künstlerin Margaret Raspé einen Helm, der es ihr ermöglichte, eine Kamera am Kopf zu befestigen und während verschiedener häuslicher Aktivitäten aus ihre Pers­pektive zu filmen. In ähnlicher Weise – aber aus einer anderen häuslichen Situation heraus, nämlich der des Lockdowns in London (während Covid-19) – produzierte RUTH ANGEL EDWARDS das Video Trip in Me (2020) als Reflexion über städti­sche Fehlfunktionen und tägliche Routine. Unter­legt mit ihrem eigenen DJ-Mix aus Drum & Bass, Mashups und mechanischen Klängen. Das Video, gänzlich als Point-of-View-Shot gedreht, setzt mit einer morgendlichen Routine ein: Duschen, dann frühstücken auf dem Dach ihres Hauses, und ein Outfit wählen, bevor sie sich nach draussen wagt, wo sie als Teil einer Fahrrad-Gang mit Wheelies durch die Strassen von Central London zieht. Ein Remix von J-Los Waiting for Tonight untermalt die Aktivitäten, während langsam klar wird, dass es sich um Found Footage handelt, das geschickt zusammengeschnitten wurde (die Künstlerin trägt den gleichen schwarzen Mantel wie der waghalsige Protagonist). «Don’t liberate me, I’ll take care of that.» [«Befreie mich nicht, ich kümmere mich darum»]

Nachdem sie über mehrere rote Ampeln gefahren ist, steigt die Radfahrerin ab und besucht eine Freundin, die Zugang zu einem Dach im Zentrum Londons hat. Sie ziehen sich Skatekleidung an und trinken eine Tasse Tee. Sie streichelt den Hund. Die Musik bricht vorübergehend ab (wir sind wieder in Ruth Angel Edwards Kopf), um dann wieder mit Dialogue von Seeka einzusetzen, während sie vom Rand des Daches springt und über metallene Lüftungsanlagen und stillgelegte Schornsteine klettert. Wieder dauert es etwas, bis klar wird, dass es sich bei den Parkour-Experten um urbane Edgelords handelt, die ihre Aktivitäten auf YouTube/Twitch/was-auch-immer hochladen. Das Video wirkt wie eine alchemistische Umset­zung des Wunsches, zu fliehen oder eine Reise zu unternehmen, und bietet anderen die Möglichkeit, sich die Überbleibsel dieser Erfahrung anzuschau­en.

Spiralen sind aktiv und winden sich von einem einzigen Punkt aus in einer kontinuierlichen Kurve nach aussen. Sie kommen in der Natur vor; in der Regel sind die begehrtesten Fossilien spiralförmig. Der zentrale Teil einer Spirale ist eine Art Wirbel. Wasserstrudel und Tornados bewegen sich als spi­ralförmige Energie fort. Die Menschen verbinden unterschiedliche Stimmungen mit Spiralen, sie sind psychedelisch und mystisch, und man kann sie sich als auf- oder absteigend vorstellen. The Downward Spiral gilt als Kult-Album von Nine Inch Nails und könnte als Inbegriff der Existenzangst verstanden werden. Trent Reznor, Gründer der Nine Inch Nails, nahm das Album 1994 bekanntermassen in dem Haus auf, in dem Sharon Tate von der Manson Family ermordet wurde. Später erklärte er, dass er den Kauf des Hauses bereue und es als unsensibel empfinde, ihren Tod als Quelle für seine düstere Kreativität missbraucht zu haben. In der Geschichte der Konzeptkunst ist Spiral Jetty (1970) des Landart-Künstlers Robert Smithson eines der bemerkenswertesten Werke, die diese Form aufgreifen. Die Intervention, die «dauerhaft» angelegt wurde, sich aber durch den Wasserstand verändern kann, befasst sich mit einer elementaren Zeitskala und blickt auf die Welt ausserhalb der menschlichen Erfahrung.

GRETCHEN LAWRENCEs Spirale, My Spiral (2022), füllt den Raum mit ihrer Geometrie. Die Wände und der Boden werden als Flächen genutzt, auf die schwarze Farbe aufgetragen wird, um eine gross angelegte Rauminstallation zu schaffen. Ihre Spirale füllt den Fussboden aus und wird an den Wänden weitergeführt. Zwei Räume entstehen auf den Oberflächen: der schwarze Raum und der weisse Raum. Dies könnte als positiver und negativer Raum verstanden werden oder als das, was ist und was nicht ist, beides sich windend und somit gleichzei­tig existierend. Innerhalb der Installation befindet sich ausserdem eine Skulptur, die aus persönlichen Gebrauchsgegenständen oder gefundenen Objekten assembliert wurde, die lose mit gelebter Erfahrung in Verbindung stehen. Hier ist der Energydrink mit dem derben Namen «Pussy» auf eine Jewel-CD-Hülle und eine Digitalkamera geklebt. Was dabei in Erinnerung gerufen werden könnte, ist der erfinderische Teenage-Hedonismus, als das Kaufen von Alkohol nicht möglich war und das Trinken von zu viel Koffein das damalige High darstellte. Konsumpsychologie und Entwicklungspsychologie können manchmal miteinander verknüpft werden, wenn man an Teenager denkt.

My Spiral versetzt die Betrachter:innen in eine Spirale, eine Art Simulation oder unerwartete Erfahrung in der physischen Welt. Irgendwo zwischen Traum oder Halluzination und Clubset­ting, in dem Musikvideos gedreht werden.

Im Jahr 1858 war der Dinosaurier eine relativ neue Entdeckung. In diesem Jahr wurden auf der Welt­ausstellung im Londoner Crystal Palace zum ersten Mal Darstellungen von Dinosauriern gezeigt, die aus Ton geformt und in Zement gegossen waren. Im Laufe der Zeit hat sich das Verständnis davon, wie die Dinosaurier aussahen, verändert und so wird es dies auch weiterhin tun.

MICHAEL VAN DEN ABEELE denkt sehr oft über Dinosaurier nach. Seit 2014 malt er sie, und 2017 begann er damit, sie (basierend auf Nahaufnahmen von Spielzeug) hauptsächlich auf Luftpolsterfolie zu malen, bevor er sie zwei- oder dreimal auf die Leinwand überträgt. Die gemalten Dinosaurier werden während dieses Prozesses überführt – jedoch nur die Stellen, die auf der Oberseite der Plastikblasen liegen. Durch Abstrak­tion entsteht das Bild der Kreaturen als Moiré. Dabei wird auf die Tradition der Op Art angespielt und eine rudimentäre Form des Druckens erfun­den.

In der Video-Trilogie Feral Domestic (2016–2022) von DANI und SHEILAH RESTACK wird die Kamera zum intimen, sensorischen Körperteil. Die Ohren unter Wasser; dumpf dringt der Ton durch verschiedene Körper. Die Künstlerinnen gewinnen dem Video eine Physis ab, für deren Verdrängung konstant kulturelle und technologische Imperative auf uns wirken. Blut vermischt sich mit Wasser. Das Mikrofon schlägt auf dem Boden auf. Strangely Ordinary This Devotion (2017), Come Coyote (2019) und Future From Inside (2022) handeln unter anderem von der Möglichkeit und Unmöglichkeit, ein Leben auf die Welt zu bringen. Sie handeln von Magie und Klimakatastrophe.

«Du willst immer nur diese ekelhaften Dinge zeigen, als ob du eine Art perversen Wunsch hegst, uns an­zuwidern», ist Sheilah ReStack aus dem Off zu hören, während die Kamera auf eine weisse Katze gerichtet ist, deren linkes blutendes Ohr halb abgerissen herunterhängt. «Das ist nicht Anwidern, das ist die Realität, und die ist … eklig. Ich meine, ich denke nicht mal, dass es eklig ist. Ich denke nur, dass sie… die Realität ist brutal. Warum wollen wir sie nicht zeigen?», erwidert Dani ReStack.

Die gemeinsame künstlerische Praxis ist Beziehung und ein stetes Aushandeln zwischen unterschiedli­chen Realitäten, durchdrungen mit queerem Begehren, Schönheit, Humor und Gewalt. Men­schen, Tier und Umwelt stehen in ihrer Arbeit in multiplen Beziehungen zwischen Affinität und Differenz.

Gemeinsam bilden sie eine organische Masse aus Tochter, Mutter, Künstlerin, Liebhaberin. Ihre ungezähmte Häuslichkeit ist keine isolierte: Pop-Songs, Bücher, aus denen sie sich vorlesen, Filme die sie schauen, die Frauen, mit denen sie in Kontakt sind, die als Avatare stellvertretend ihre Diskussionen austragen.

Wie kann man behaupten, dass die Uhr eine kultu­relle Errungenschaft ist, ein Produkt des Kapitalis­mus, wenn sie so eigentümlich mit den planetaren Bewegungen verbunden ist? Uhren und Zeitmesser waren während der Industrialisierung der letzte Schrei. Die Fabriken mussten produzieren und sich an einen regelmässigen Rhythmus anpassen, und der Staat würde folgen. Jetzt haben wir das Internet, in dem sich die Zeit fraktal anfühlt. Mitte des 20. Jahrhunderts verdrängte der Elektroherd den Gasherd. Heute wird der Herd von modernen Stadtbewohner:innen vernachlässigt, und es gibt keine Internetverbindung, und kein Interesse daran, die meist ungenauen Uhren zu synchronisieren.

 Time of Day (2017) ist eine Fotoserie von LULOU MARGARINE. Die Bilder zeigen die digitale Zeitanzeige auf dem Display eines Ofens zu unter­schiedlichen Tageszeiten – bei Nacht und bei Tag. Der Ofen ist Objekt multipler Zwänge und Kontrollen. Er steht da in der Küche, jederzeit. Die Anzeige ändert sich mit jeder Minute. Die Pro­duktion dieser Bilder erforderte einen Rhythmus, der asynchron zu der durch den Kapitalismus und seine Uhren strukturierten Zeit von Freizeit und (unbezahlter) Arbeit verläuft. Lulou Margarine sucht die Anzeige des Ofens zu jeder Tageszeit auf – eine unheimliche Anziehungskraft, wie das Insekt, das vom Licht angelockt wird. Die Uhr läuft synchron mit der Tageszeit und dem natürlichen Licht. Die Arbeit Time of Day beschreibt einen disparaten Zustand zwischen natürlicher und natu­ralisierter Zeit und verbindet einen unheimlichen, häuslichen Raum als Spiegel der Psyche mit dem weitreichenden Unterfangen, Zeit in messbare Einheiten zu strukturieren.

Die Ausstellung ist kuratiert von Luca Beeler & Richard Sides.

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Die Ausstellung ist kuratiert von Luca Beeler & Richard Sides.