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Someone’s got to dance
Saskia Edens, Jerry Haenggli, Renée Magaña, Valentin Magaro, Sébastien Mettraux, Uriel Orlow, Augustin Rebetez, Kotscha Reist
14.10.–26.11.2016

Lädt einem der Tod zum Tanze, graust einem – auch heute noch. Das mittelalterliche Motiv des Totentanzes verdeutlicht als demokratisches Gesellschaftsbild, dass der Sensemann kein Alter und keinen Stand verschont. Gleichzeitig fasziniert die lustvolle Darstellung, in welcher der Tod das Leben imitiert. In der Stadtgalerie versammeln sich Werke, die das Motiv aus dem Heute erforschen, erweitern, parodieren und auf seine Aktualität prüfen. Wir treffen ein Brautpaar, das sich treue Liebe bis zum Ende schwört und auf schemenhafte Umrisse des Todes. In anderen Werken zeigt sich die unvermeidbare Vergänglichkeit in grotesken Sprüngen düsterer Marionetten und realistisch dargestellter Skelette oder in apathischen Geschöpfen, die auf ihr Ende warten. Gegenüberstellungen von Spielfilmen thematisieren den Tod schliesslich als salonfähigen Unterhaltungswert der Popkultur.

SASKIA EDENS (*1975 in Genf, lebt und arbeitet in Basel)

Das Skelett eines deutschen Schäferhundes empfängt die Ausstellungsbesucher. Dieses ist an einem Plattenspieler befestigt, der das Lied I wanna be your dog der Stooges abspielt. Er dient als Motor, der den Hundekörper zum Tanzen bringt. Neben der Musik entsteht durch die Knochenbewegungen – das Kratzen der Pfotenknochen auf dem Boden – ein eigener Rhythmus. Saskia Edens erstand das Hundeskelett in Einzelteilen. Indem sie es, ähnlich einem Baukasten, zu einem beweglichen Modell zusammensetzte, beobachtete sie den Bau und das Zusammenspiel der einzelnen Knochen, testete die Rotationsachsen und das Schwingverhalten. Das Skelett war mehrmals Bestandteil von Performances, in denen Edens mit ihm tanzte, es in die Luft warf oder es zum Leuchten brachte. All diese Gebrauchsspuren haben sich in das Skelett eingeschrieben.

Im Video Make-up (2008) verwandelt sich Edens mit schwarzer Farbe langsam in ein Skelett. Die Schminke deckt Teile ab, hebt andere Partien hervor und verwischt die Übergänge zwischen Haut und Farbe. Durch das gezielte Auftragen der Farbe und den anschliessenden Bewegungsabläufen erforscht sie die Anatomie ihres Körpers und dessen Knochenstruktur. Einerseits ist das Skelett das tragende Element des menschlichen Körpers, andererseits ist es das meist verbreitete Symbol für den Tod. Während der Tanzsequenz gegen Ende des Films ist Edens schliesslich als lebendiges Knochengerüst zu sehen, das den Zuschauer an- oder auszulachen scheint.

JERRY HAENGGLI (*1970 in Vevey, lebt und arbeitet in Biel)

Menschen stehen oftmals im Zentrum von Jerry Haengglis Werken, die stets ohne Titel auskommen. Die dargestellten Szenen scheinen einerseits vertraut: Ansammlungen von Menschen in einer Interaktion, eine konzentrierte Dreiergruppe. Andererseits befinden sich die Szenen im Zustand des sich Auflösens und entziehen sich so einer klaren Deutung. Dynamisch beinhalten die Zeichnungen mehrere, gegeneinander laufende Richtungen des Strichs, und verunmöglichen so der Betrachterin eine klare Orientierung — eine Wirkung von Schwindel oder Ohnmacht entsteht. Die in den Zeichnungen festgehaltenen Bewegungen werden vom gewellten Papier als Trägermedium noch verstärkt. Im Gemälde öffnet sich ein Abgrund: weder die Gesichter noch die Gegenstände, welche die Personen in ihren Händen halten, sind zu erkennen.

RENÉE MAGAÑA (*1970 in Santa Monica, lebt und arbeitet in Bern)

Als Halbmexikanerin, die in Kalifornien aufgewachsen ist und seit mehreren Jahrzehnten in Bern lebt, beschäftigt sich Renée Magaña in ihrer künstlerischen Arbeit immer wieder mit den unterschiedlichen Vorstellungen und Stellenwerten des Todes verschiedener Kulturen. Mit dem Berner Totentanz von Niklaus Manuel hat sie sich ebenso vertieft auseinandergesetzt wie mit den Karikaturen des Mexikaners José Guadalupe Posada (1854 — 1913). Anders als beim europäischen Totentanz dienen die Figuren Posadas wie La Catrina keinem moralischerzieherischen Zweck. In Mexiko ist der Tod kein Tabu, sondern oft Sujet einer ironischen Auseinandersetzung, die sich unter anderem in der unbeschwerten Darstellung und Form von Skeletten widerspiegelt. In der mexikanischen Tradition hat auch der Heiligenkult, wie er in vielen katholischen Ländern praktiziert wird, einen hohen Stellenwert. Altare und Schreine mit Reliquien gehören dabei auch zum privaten Alltag: Oft entstehen in Familien über Jahrzehnte hinweg Gedenkstätten, die das Leben widerspiegeln sollen und bestimmte Objekte wie der Brautkranz aufbewahren. Das mythologische Symbol des Lebensbaums steht für die kosmische Ordnung und verbindet die drei Ebenen von Himmel, Erde und Unterwelt. Die genannten Traditionen und die damit verbundenen Motive wurden von Magaña in ihren Werken Bride and Groom after Posada (2014), Bride and Groom nr. II (after Posada) (2016) und Arbol de la vida (invierno) (2016) aufgegriffen und interpretiert. Die beiden Werke rund um das Brautpaar tragen die Vergänglichkeit einerseits durch ihre Materialien, andererseits durch das Eheversprechen von «bis dass der Tod euch scheidet» in sich.

Im Herbst 2009 wurden auf dem Schönberg Ost (bzw. dem Oberen Galgenfeld und ehemaligen Galgenhügel Berns) Gräber gefunden, die den Strafvollzug des mittelalterlichen Berns aufzeigten. Renée Magaña erhielt während mehreren Tagen Zugang zur Ausgrabungsstätte und untersuchte die gefundenen Überreste von 40 Männern zeichnerisch. Die Skelette lagen fast ausschliesslich übereinander geschichtet auf dem Bauch, teilweise ohne Kopf, die Hände hinter dem Rücken verbunden. Diese Knochenteile und -haufen waren nur schwer mit der menschlichen Gestalt in Verbindung zu bringen. Magaña faszinierte an der archäologischen Auslegeordnung deren ornamentalen Qualitäten, die sie in ihrem Tryptichon Untitled (ein Totentanz) (2009) in einem abstrakten Knochenreigen festgehalten hat.

Am 21. Oktober 2016 führt Renée Magaña die Performance Vaya con Díos im Chor der französischen Kirche Bern auf. Der Ort steht dabei in einem engen Zusammenhang mit dem Berner Totentanz von Manuel: Die Französische Kirche befindet sich auf dem Areal des ehemaligen Dominikanerklosters, an dessen Mauern der mittelalterliche Totentanz hing. In der rituellen Tradition des mexikanischen Feiertags Día de Muertos werden dabei von Magaña die Namen von Verstorbenen verlesen um ihnen so zu gedenken.

VALENTIN MAGARO (*1972 in Münsterlingen, lebt und arbeitet in Winterthur)

Valentin Magaro zeichnet seit seiner Kindheit Skelette. Er sagt, es sei diejenige Form, die er intuitiv am besten auf das Papier bringe. Mit der Intention für etwas eine Form zu finden, die es in Realität nicht gibt, arbeitet Magaro meistens aus dem Gedächtnis und seiner Vorstellung und benutzt nur selten Vorlagen. Die assoziativen Verknüpfungen seiner Bildwelten lässt er für den Besucher bewusst offen, indem er seinen Werken keine Titel gibt.

Zeichnen begreift Magaro als Reise, auf der er immer wieder dieselben Formen trifft und an ihrem Ausdruck und ihrer Präzision stetig weiterarbeitet. Er hat sich ein Repertoire aus menschlichen und tierischen Gestalten sowie Pflanzen erarbeitet, das er zu einer eigenen Bildwelt zusammenfügt. Diese besteht nicht selten aus verschiedenen Schichten. Magaro mischt Techniken, kopiert und collagiert Zwischenzustände seiner Zeichnungen, um ausgehend davon in verschiedene Richtungen weiterzuarbeiten. Die verschiedenen Schichten von Verarbeitung finden sich teilweise auch in dem von Magaro verwendeten Material wieder. So zum Beispiel in dem von ihm als Untergrund gebrauchten Zwischenlagepapier, das während dem Trocknungsprozess von Drucken verwendet wird. Durch diverse Farbablagegerungen, trägt es die Spuren vergangener Arbeitsschritte auf sich, die er durch die Weiterverwendung aktualisiert.

SÉBASTIEN METTRAUX (*1984 in Fribourg, lebt und arbeitet in Vallorbe)

2013 begann Sébastien Mettraux an einer Bildserie von Totentänzen zu arbeiten. Sie sind in Mettraux Werk insofern eine Ausnahme, als dass zum ersten — und laut Künstler auch zum letzten Mal — menschliche Körper in seinem Werk auftauchen. In seinen anderen Arbeiten beschäftigt er sich mit Architektur, Landschaft und Elementen der Industrie. Mettraux‘ Interesse am Totentanz verbindet sich dabei mit dem gegenwärtig in der Welt präsenten Gefühl von Bedrohung und dem Tod als Erinnerung an die Vergänglichkeit.

Der Reigen als Tanz hat etwas Universelles und kann weder einem Tanzstil, noch einer Kultur, noch einer bestimmten Zeit zugeschrieben werden. Für die Realisation seiner Gemälde nutzt Mettraux die Computertechnologie als Skizzeninstrument, wodurch er das mittelalterliche Motiv mit technischen Mitteln neu interpretiert. Mit Hilfe eines 3D-Animation-Programms tüftelt er digital solange an den klassischen Malereithemen wie Perspektive, Lichtführung und Modellierung, bis die Vorlage für seine Malerei möglichst realistisch wirkt.

URIEL ORLOW (*1973 in Zürich, lebt und arbeitet in London)

Vie macabre (2016) ist eine Serie von elf Diptychen, die je zwei Stills aus Spielfilmen zeigen. Uriel Orlows Gegenüberstellungen lassen sich kaum einem Film zuordnen, die eingefangenen Szenen können thematisch nicht gemeinsam verortet werden. In den Stills finden sich Szenen aus Horrorfilmen, Ausschnitte grusliger Bedrohung, aber auch die überzeichnete und somit lächerliche Darstellung des Todes, häusliche Umgebungen, stereotypische Dialogeinstellungen sowie heitere Tänze. Durch die Vermischung der Motive wird dabei das Thema der Kommerzialisierung aufgegriffen. Der banale Alltag steht dem dargestellten Horror entgegen, der zum salonfähigen Unterhaltungswert geworden ist. Der Tod wird dadurch nicht als schweres, ernsthaftes Thema behandelt, sondern wird in seiner Darstellung zu einem Klischee, das sich mit anderen Hollywood-Stereotypen in eine Reihe stellt.

AUGUSTIN REBETEZ (*1986 in Delémont, lebt und arbeitet in Mervelier)

In Augustin Rebetez‘ Stop-Motion-Film oiseaux (2014) erwacht ein Haus mit seinen Bewohnern und seinen Möbeln zum Leben. Im eigens dafür gebauten Kino gezeigt, entführt der Film in eine Geisterwelt voller Tricks und Überraschungen: Schwarz vermummte Gestalten verschwinden in Koffern, Stühlen und Staubsaugern, purzeln aus Ecken und Öffnungen und gehen absurden Beschäftigungen nach. In Schubladen sind Parallelwelten versteckt. Trotz den Metamorphosen von Räumen und Objekten und der ständigen Bewegung scheint sich das Gesehene in einer Ambivalenz zwischen dem zum Leben erwachten und dem nicht Lebenden zu befinden. Die mechanisierte und nicht natürlich erscheinende Bewegung wird durch den ruckartigen Bewegungsfluss des Stop-Motion-Films stark unterstrichen.

KOTSCHA REIST (*1963 in Bern, lebt und arbeitet in Bern)

Die apathischen, in einer Art Mobile gefangenen Marionetten erzeugen im Gemälde Tanzen ohne Musik eine düstere Stimmung. Zwischen 1984 und 1994 lebte Kotscha Reist der Ausbildung wegen in Holland. Das Bild entstand kurz nach seiner Rückkehr nach Bern. Es verbildlicht das Gefühl des Künstlers, sowohl räumlich als auch emotional zwischen zwei Welten zu stecken. Zwar in einer tänzerischen Haltung, wirken die Figuren trotzdem still und unlebendig, als hätte die Musik schon lange ausgesetzt, als warteten sie drapiert für eine Aufführung, die nicht stattfindet. Obwohl eine Gruppe von Figuren dargestellt ist, wirken diese, einzeln an einem Faden hängend, isoliert und unfähig zur Interaktion, wobei ihre Körperlichkeit sich immer mehr in der Atmosphäre aufzulösen scheint.

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