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Karen Amanda Moser
Vision d’intérieur
22.09.–21.10.2023

Als Vision kann ein subjektives, bildhaftes Erleben von etwas sinnlich nicht Wahrnehmbaren bezeichnet werden. Sie kann ebenfalls Einbildung, Halluzination, Sinnestäuschung, Trugbild und Phantasma sein, sowie Utopie, Zukunftsbild oder Managementstrategie. Visionen eröffnen die Frage, wie das Innen und Aussen in Verbindung gebracht werden können; was existiert, obwohl wir es nicht sehen, hören oder spüren und wer nimmt es dennoch wahr? Die Einzelausstellung Vision d’intérieur von Karen Amanda Moser stellt die Fragen, welches Wissen internalisiert ist, was in Körper eingeschrieben und was unsichtbar bleibt.

«One eyes sees, the other feels» [Ein Auge, welches sieht, das andere, welches fühlt], schrieb der Künstler Paul Klee in sein Tagebuch. Das Kosmetikunternehmen Aesop eignet sich dieses Zitat an und bedruckt seine Produktverpackungen damit. Karen Amanda Moser rekontextualisiert die Verpackung von Aesop mit genau jener reproduzierten Seite von Klees Tagebuch III. Daneben ist auf einen Leinenbeutel von Aesop ein ebenfalls von Klee stammendes, durch die Künstlerin ergänztes Diagramm gemalt. Klee stellt darin Mechanismen des Sehens in einen kosmologischen Kontext. Das Diptychon Gemeinsame Bildwelt (2023) setzt das Versprechen der Gegenwärtigkeit eines Tagebuchs und die Anreicherungsstrategien von Brands durch Geschichte und Kultur in einen Dialog.

Zwei Modelle der leeren Bühnenbilder des Theaterstücks Warten auf Godot stellen eine menschliche Unproduktivität und eine Dehnung von Zeit ins Zentrum. Zwischen dem ersten und zweiten Akt ändert sich das Bühnenbild kaum, bis auf wenige Blüten, die der Baum zu tragen beginnt. In ihrer Arbeit verschränkt die Künstlerin die Zeitstruktur des Stücks mit jener der Aufführungsgeschichte. Das eine Modell zeigt das Bühnenbild im ersten Akt der Uraufführung 1953 in Paris, das andere Modell jenes der Wiederaufführung 1978 in Avignon im zweiten Akt. Dazwischen liegen über zwanzig Jahre der Wiederaufführung, Reinszenierung, und Interpretation.

Kontinuitäten und Brüche, die das Eingebundensein als Individuum und Kunstproduzentin in unterschiedliche Geschichtlichkeiten prägen, sind wiederkehrende Motive in Karen Amanda Mosers Arbeiten. Die Ausstellung schafft Verbindungslinien zwischen dem Paris der Nachkriegszeit und jenem der Gegenwart: Während ihres diesjährigen Aufenthaltes an der Cité internationale des arts entstand das Video Re-production (2023). Es ist eine Dérive der Künstlerin durch Infrastrukturen, Museen, Friedhöfe und Menagerien der Stadt – durch eine Landschaft der Dinge. Dabei bewegt sie sich als Künstlerin, Teilnehmerin der Residenz europäischer Kulturdiplomatie und kultureller Anreicherung, als Touristin, als Individuum durch diese Orte der Geschichtsvermittlung, Verwaltung oder des Gedenkens. Wie sie vom Wandel berichten, handeln sie auch von Kontrolle über Körper – menschliche und nichtmenschliche – und erzeugen ein vermeintliches System der Ordnung: Als Meta-Museen der Geschichte der gewaltsamen, europäischen Expansion des Kapitalismus. Karen Amanda Moser entwirft in ihrer Arbeit Re-production eine lose Kartografie von Machtstrukturen, und visualisiert diese in Form einer Introspektion, thematisiert Mechanismen biologischer und sozialer Reproduktionen.

In Anwendung von Artikel L621-29-8 der rechtlichen Bestimmungen zum kulturellen Erbe sind die Einnahmen, die der Eigentümer des Monuments mit dieser Werbeanzeige generiert, für die Finanzierung der Restaurationsarbeiten einzusetzen. In der Begleitpublikation APPARITION EXTÉRIEURE, die im Rahmen der Ausstellung entstanden ist, dokumentiert die Künstlerin unterschiedliche Werbeblachen in Paris, deren Anbringen durch den Artikel L621-29-8 in Frankreich gesetzlich verankert ist. Sie zeugen von einer neuen Form der Generierung von Profit durch das Zusammenspiel von Kunst, Luxusgüter, Immobilien, Tourismus und Kulturerbe. Während ihres Aufenthalts in Paris suchte die Künstlerin mittels ihrer fotografischen Arbeit eine unmittelbare Konfrontation mit den Bedingungen heutiger Kunstreproduktionen.

Karen Amanda Moser interessiert sich in Vision d’intérieur für bürokratische und juristische Prozesse, entlang derer sich Urheber*innenschaft, Eigentumsverhältnisse und menschliche Beziehung organisieren. Ohne Titel (Rauschen) (2023) zeigt die Videoaufnahmen einer auf dem Meeresboden verloren gegangenen GoPro-Kamera. Die aufgenommenen Bilder haben keine direkte Autor*innenschaft, da die Kameraführung einzig durch die Bewegung des Meeres geschah. Als Konsequenz macht die Künstlerin das Video auf der Plattform Vimeo öffentlich zugänglich. Immer wieder wird im Video das Wasserzeichen mit dem Schriftzug BY-NC-ND sichtbar – die restriktivste Lizenz unter den Creative Commons, welche die Bedingungen der Weiterverwendung von Werken regulieren.

Die Arbeit Silent Monitor 1-4 (2023) ist nach dem gleichnamigen Konzept des Unternehmers, Sozialreformers und Philanthropen Robert Owen (1771–1858) benannt. Owen, der sich gegen die damals übliche, körperliche Züchtigung einsetzte, führte in seiner Fabrik eine Form der Disziplinierung ein, die auf einer für alle sichtbaren Validierung der Arbeiter*innen beruhte. Owens Silent Monitor hatte die Form eines Quaders, der in eine Pyramidenform überging, wobei jede der vier Seiten mit einer anderen Farbe versehen war, die für die Bewertung der Arbeiter*in stand. Die Disziplinarisierung und Validierung der eigenen Arbeit wurde nunmehr verinnerlicht. Die Künstlerin erweitert das Formen- und Farbenrepertoir des Originals und überführt sie ins Skulpturale. Karen Amanda Moser setzt dem Original eine Neudeutung gegenüber und entwirft weitere Kombinationen, die sich auf unterschiedliche Modelle von Arbeit im zeitgenössischen Kapitalismus beziehen. Von der körperlichen Fabrikarbeit, zu Dienstleistung, Emotionsarbeit und Self-management zeichnet sie Verbindungslinien zu einer heutigen Affektökonomie, die in alle Bereiche des Lebens eindringt, als Internalisierung selbstregulierender, ökonomischer Prinzipien.

Quality Time (2023) ist eine fortlaufende Arbeit, ein Vertrag, welche die Künstlerin mit den einzelnen Mitarbeitenden der ausstellenden Institution eingeht. Vertraglich wird zwischen Künstlerin und Person der Institution festgehalten, dass ein Teil des Ausstellungsbudgets für gemeinsam «erholsame Aktivitäten» verwendet wird. Die Arbeit kann durch weitere Verträge ergänzt werden.

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