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Daria Gusberti mit Ino Varvariti und Giannis Delagrammatikas
Der Standpunkt war nur ein Aussichtspunkt
22.02.–23.03.2018

DARIA GUSBERTIS (*1974, Bern) Interesse an Griechenland entwickelte sich 2011, als sie sich mit Kippmomenten und Siedepunkten als Metapher für politische Konflikte und Bewegungen auseinandersetzte, welche zu dieser Zeit an verschiedenen Orten in der Welt stattfanden. Die Situation in Griechenland verfolgte sie von Bern aus und machte sich ihre Bilder, ohne je zuvor im Land gewesen zu sein. Zwischen 2015 und 2017 weilte sie dann verschiedene Male in Athen, um ihrem Interesse an Vorstellungen und Projektionen am Beispiel Griechenlands nachzugehen und diese in der Realität zu prüfen. Vor Ort stellte sich ihr dann jeweils die Frage, wann man wisse, was man wirklich sehe und ob man überhaupt wirklich sehen könne, ohne dass die eigene Wahrnehmung Bilder konstruiert.

In Athen lernte Daria Gusberti die beiden Kunstschaffenden INO VARVARITI (*1979, Athen/Berlin) und GIANNIS DELAGRAMMATIKAS (*1982, Athen/Berlin) kennen, welche in ihrem künstlerischen Schaffen ähnliche Themen bearbeiten. Für die Ausstellung in der Stadtgalerie hat Daria Gusberti die beiden eingeladen, um gemeinsam persönliche und kollektive Vorstellungen sowie kulturelle Konventionen anhand von transformierten Bildern und Objekten wie Reiseführern, Souvenirs und eigenen Fotografien zu untersuchen und um ihrem eigenen Blick einen anderen gegenüberzustellen. Athen und Griechenland als Sehnsuchts- und Tourismusort, der imaginäre, romantische und teils klischierte Blick auf das Andere und die kulturelle projektionsbeladene Beziehung zwischen Westeuropa und Griechenland bilden dabei den Ausgangspunkt. Die drei Kunstschaffenden treten in einen Dialog, generieren Assoziationen durch Blick- und Positionswechsel und kristallisieren in den gezeigten Arbeiten Schnittmengen, Ergänzungen und Kontrapunkte heraus.

Durch die Menge an gesammelten und selber gemachten Bildern ergab sich für Daria Gusberti eine gewisse Beliebigkeit. Daher entschied sie sich in den hier gezeigten Arbeiten grösstenteils für deren Abwesenheit. Aus ihrer Sammlung an Reiseführern aus Griechenland hat die Künstlerin für die Installation Das andere Bild Seiten abfotografiert, welche Orte zeigen, die sie selber besucht hat. Nun klaffen an dieser Stelle Löcher neben den Texten.

Im Video My image collection beschreibt die Künstlerin Bilder, die sie selber fotografiert hat und hinterfragt, was sie daran interessiert und warum sie diese Momente mit der Kamera festgehalten hat. Als Besucher sind wir dazu aufgefordert, uns ausgehend von ihren Beschreibungen eigene Bilder zu machen, während das eigentliche Videobild etwas Anderes zeigt: einen schwankenden Horizont, Meer und Sonne und eine sich entfernende Insel. Daria Gusberti stellt sich dabei die Frage, wie man sich an einem fremden Ort bewegt, wie man ihn kennenlernt und ob man sich diesen überhaupt aneignen kann und soll.

Eine leere Plakatwand kommt in den hier gezeigten Arbeiten von Daria Gusberti wiederholt vor und vervielfacht ihr eigenes Bild. Die Wand entdeckte die Künstlerin 2015 vor dem Konservatorium in Athen und fotografierte sie. Dieses Foto fotografierte sie für Rekonstruierter Blick einerseits erneut und filmte es zusätzlich mit der Videokamera ab, wobei sie den Hauptgegenstand weglässt und sich auf die Umgebung der Stellwand fokussiert. Mit dem konzentrierten Blick der Kamera öffnet sich in Im peripheren Blick ein eigenes Universum. Im Ausstellungsraum erscheint die Plakatwand Verstellte Ansicht zudem als Rekonstruktion. Ein ebenfalls wieder aufgegriffenes Element ist der silberne Vorhang. Die vorherigen Ausstellungen in Athen, Bern und Basel funktionierten als lose zusammenhängende Teile innerhalb der aktuellen Thematik. Der Vorhang macht den Ausstellungsraum zu einem vom Ort losgelösten Setting, das die Konzentration auf den eigenen Blick unterstützt.

Im zweiten Video Die Realität der Projektion sehen wir sich minim bewegende Aufnahmen. Durch die Projektion erhalten die Bilder etwas Diffuses, das durch die Umgebungsgeräusche aus Athen noch unterstützt wird. Überlagert werden diese mit Zitaten aus Erhardt Kästners Reiseaufzeichnungen Griechische Inseln. Aufzeichnungen aus dem Jahre 1944. Kästner war während dem Zweiten Weltkrieg bei der deutschen Wehrmacht und galt später als Philhellene. In seinem Buch schildert er seine Eindrücke pathetisch und zeichnet vor allem Idealbilder eines antiken Griechenlandes ohne Realitätsbezug. Diesen setzt Gusberti nun ihre eigenen vor Ort gemachten Bilder entgegen.

Giannis Delagrammatikas und Ino Varvariti gehen seit 2012 den Berliner Flohmärkten nach, um nach touristischen Souvenirs aus Griechenland zu suchen. An den Vasen, Postkarten oder Ferienfotos interessiert sie einerseits die Versinnbildlichung der Industrie, welche hinter dem Tourismus steckt und die Kultur ökonomisiert, andererseits die Verschiebung von einer Ferienerinnerung zur Trödelware. Aus dieser über die Jahre gewachsenen Sammlung an zurückgekauften kulturellen Replikas entwickelten die beiden Kunstschaffenden für die Ausstellung in der Stadtgalerie vier Arbeiten. Den Prozess des Sammelns und die Gesten des Findens zeigen die beiden Fotografien Carrying memories I & II.

In Open containers — the long history of the form of the vase werden die sieben ausgestellten Vasen ähnlich einem musealen Objekt behandelt. Die Poster nennen Material, Grösse, Herkunft sowie Fundort und weisen auf vergleichbare weitere Vasen aus der Sammlung hin. Gleichzeitig liefern die Poster auch Fakten von Referenzen und Assoziationen rund um den Tourismus und die griechische Geschichte.

Infinite landscapes zeigt Ansichten von und auf Griechenland: Aus ihrer Postkarten-Sammlung haben Giannis Delagrammatikas und Ino Varvariti eine Auswahl getroffen und zwei Bücher geschaffen. Der Bildband versammelt die Vorderseite der Postkarten in zwölf Kategorien wie Strände, Berge, Nachtansichten, Häfen oder archäologische Stätten. Das kleinere Buch lässt sich mit einem Kurzgeschichtenband vergleichen, wozu die Erzählungen der Griechenland-Touristen auf den Kartenrückseiten übernommen wurden.

Die Bilder im Video The willingness to revisit bestehen aus auf den Flohmärkten gefundenen Fotos und Dias von Griechenland-Reisenden. Diese stammen teils aus den 1970er- und teils aus den 1990er-Jahren. Sie werden von vier Stimmen überlagert, die sich mit ihren Schilderungen und Ansichten überkreuzen. Durch die Verflechtung der Positionen entsteht ein Bild des Landes, das stark vom Tourismus lebt und davon geprägt ist, was sowohl Segen als auch Fluch ist. Die Stimme der Kunstschaffenden ist eine kritische, deren Einschätzungen sich auf Fakten und auf das eigene Erlebte stützt. Dazu kommt ein imaginärer Tourist aus Deutschland, welcher stellvertretend für Viele steht, sowie eine Angestellte eines Reisebüros. Die vierte Stimme vergleicht die Aufnahmen und liefert Zahlen und Fakten aus den Nachrichten.

Als gemeinsames Künstlerbuch haben die drei Kunstschaffenden den eigenen Reiseführer Der Standpunkt war nur ein Aussichtspunkt. Notizen zum Reisen konzipiert. Ausgehend von ihrem Recherchematerial haben sie dieses zu Kapiteln geordnet, die auf Inhaltsverzeichnissen bestehender Reiseführer basieren. Die Kapitel zeigen Neukonstellationen und Assoziationen, die mit dem Künstlermaterial bestehend aus Bildern, Wortsammlungen, Statistiken und Zitaten bebildert werden. In zwei Texten schildern sowohl Daria Gusberti als auch Giannis Delagrammatikas und Ino Varvariti ihren Blick auf die Thematik. Es lassen sich direkte Verbindungen zu anderen in der Ausstellung gezeigten Arbeiten herstellen.

 

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