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Karoline Schreiber
Ich bin doch kein Automat!
26.02.–26.03.2016

KAROLINE SCHREIBER, Zeichnerin und Malerin, greift in ihren Motiven Unzulänglichkeiten und Abgründe auf. Die Einzelausstellung Ich bin doch kein Automat! in der Stadtgalerie rückt das zeichnerische Universum in den Fokus, in dem die Künstlerin dem jeweiligen Konzept entsprechend die passenden Techniken anwendet und von unterschiedlichen Automatismen bestimmt wird. Wir erleben eine vielfältige Bandbreite des Zeichnens, vom Naturstudium über surreale Bildwelten zu abstrakter Linienführung. Karoline Schreiber wurde 1969 geboren und ist in Bern aufgewachsen. Sie lebt und arbeitet in Zürich und ist seit 2001 Dozentin für Zeichnen an der Hochschule der Künste Bern.

Schreiber bewegt sich in ihrer Bildwelt nicht selten am Rande des Unsittlichen und Unappetitlichen und greift Themen auf, die wir uns aus Ekel oder Anstand nicht gestatten zu diskutieren. So auch in ihrer Zeichnungsserie Decent Shit: Hier dokumentiert sie zeichnerisch ihre eigenen Exkremente. Schreiber behandelt diese Formen wie freistehende Skulpturen. In einem mimetischen, fast schon hyperrealistischen Ansatz hält sie ihre Kotstücke fest und verweist damit auf das zeichnerische Genre des Naturstudiums. Scheisse zu zeichnen bedeutet in dieser Arbeit möglicherweise ein Qualitätsurteil, bezeichnet aber vor allem das Motiv. Schreiber interessiert sich für das Funktionieren innerhalb eines Systems. Ebenso wie der biologische Automatismus der Verdauung mit der Produktion und Ausscheidung von Exkrementen hat sich das zeichnerische Festhalten ihres Kotes automatisiert. Die billigen Plastikrahmen vergolden die Künstlerscheisse und verweisen auf die Merda d’artista des italienischen Konzeptkünstlers Piero Manzoni. 1961 füllte Manzoni jeweils 30 g seiner eigenen Fäkalien in 90 Dosen ab.

In Haunted verfolgt ein Mann in Malerkittel und Clownnase mit einem Fleischermesser in der Hand die Künstlerin. Sie hat die Augen verbunden und hält einen grossen Pinsel in der Hand. Im Hintergrund ist eine Wand voller leerer Leinwände und Zeichenblätter dargestellt. Der Verfolger sowie die dargestellten Utensilien sind der Videoarbeit Painter (1995) des amerikanischen Künstlers Paul McCarthy entnommen. Es ist diese Atmosphäre zwischen Genie und Wahnsinn, zwischen intuitiver Eingebung und verzweifelter Suche nach Ideen und Motiven, welche sowohl McCarthys Video als auch Schreibers Zeichnung festhalten. Die Künstlerin macht uns mit ihrer Zeichnung deutlich, dass sie eben doch kein Automat ist.

Quasi als Aufforderung des «Painters», etwas zu machen, schafft Schreiber während der Ausstellungseröffnung eine abstrakte Wandzeichnung. Sie bedient sich grosser Gesten und befreit sich vom konzeptionellen Ansatz und der Disziplin in Decent Shit. Die schwarzen, sich wiederholenden Linien wirken gleichzeitig unbeholfen und funktionieren als konzeptionelle Referenz an das Medium Zeichnung mit der Linie als Grundlage.

Seit 2008 entsteht, ähnlich eines Tagebuchs, mindestens eine Zeichnung pro Tag, ausgeführt im selben Format und mit dem gleichen Werkzeug, einem Fineliner. Schreiber nennt diese Methode «automatische Zeichnung», denn hier räumt sie dem Unbewussten und Ungeplanten wie in der «écriture automatique» viele Rechte ein. Aus diesem intuitiven Zeichenprozess ist eine eigenständige Bildsprache mit Referenzen zum Surrealismus und der Pop Art entstanden.

Im Herbst 2015 erschien Schreibers Künstlerbuch Letzte Nacht. Darin ist erstmals eine Auswahl von knapp 500 ihrer mittlerweile 3000 automatischen Zeichnungen vereint. Ihre zeichnerische Haltung wird daraus als einzelne auf dem weissen Papier stehende Bildmotive oder als wuchernde narrative Bilderfindungen sichtbar. Diese Bildwelt erweitert sie mit sprachlichen Elementen um eine rätselhafte Komponente. Die Gestaltung des Buches erinnert an eine Bibel oder an ein Kirchengesangsbuch – ein biografischer Verweis – als Kind musste Schreiber oft mit in die Kirche. Aus Langeweile blätterte sie jeweils im aufliegenden Kirchengesangsbuch, in der Hoffnung, inmitten der Bleiwüste auf Darstellungen zu treffen.

In der Stadtgalerie zeigt sie im hinteren Raum ausschliesslich solche automatischen Motive, die sie intuitiv ausgewählt und mit Pinsel und Tusche auf A-Formate vergrössert hat. Wir betreten eine Salonähnliche Situation. Ihre ersten Kunsterfahrungen sammelte Schreiber als Kind, auf dem Sofa liegend, inmitten der Kunstsammlung ihrer Tante.

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